MEHRWERT
Der aktuelle GS&P-Blog
Ein Blog über Kapitalmärkte, Nachhaltigkeit und Investmentstrategien von Christoph Schlienkamp
23.09.2025
Die Rolle von ESG-Ratings und ihre Grenzen
In einer Welt, in der Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus rückt, suchen viele von Ihnen nach Wegen, ihr Geld nicht nur gewinnbringend, sondern auch verantwortungsvoll anzulegen. Dabei stoßen Sie unweigerlich auf drei Buchstaben: ESG. Und kurz darauf auf die sogenannten ESG-Ratings – eine Art „Gütesiegel“, das die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen bewerten soll.
Auf den ersten Blick erscheint das genial: Eine einfache Note (oft von AAA bis CCC) soll Klarheit im komplexen Nachhaltigkeits-Dschungel schaffen. Doch wie verlässlich ist dieser Kompass wirklich? In diesem Beitrag werfen wir einen Blick hinter die Kulissen, beleuchten die wichtige Rolle von ESG-Ratings, aber auch ihre entscheidenden Grenzen.
Ein Kompass im Dschungel: Was ESG-Ratings leisten
Zunächst einmal sind ESG-Ratings ein enorm wichtiger Schritt nach vorn. Führende Agenturen wie MSCI, Sustainalytics oder ISS ESG sammeln und analysieren riesige Mengen an Daten, um zu bewerten, wie ein Unternehmen in den drei Kernbereichen abschneidet:
- E – Environment (Umwelt): Wie geht das Unternehmen mit CO₂-Emissionen, Wasserverbrauch, Abfallmanagement oder dem Schutz der Biodiversität um?
- S – Social (Soziales): Wie behandelt das Unternehmen seine Mitarbeiter (Arbeitssicherheit, faire Löhne)? Wie stellt es die Sicherheit seiner Produkte sicher und wie engagiert es sich in der Gesellschaft? Wie fair sind die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette?
- G – Governance (Unternehmensführung): Wie transparent ist die Unternehmensführung? Gibt es unabhängige Kontrollgremien? Wie werden Korruption und Bestechung verhindert und wie ist die Vorstandsvergütung gestaltet?
Der unbestreitbare Nutzen für Anleger
- Ratings fassen hunderte von Datenpunkten in einer einzigen, vergleichbaren Kennzahl zusammen. Das schafft einen schnellen ersten Überblick.
- Risikomanagement: Sie helfen dabei, nicht-finanzielle Risiken zu identifizieren, die sich langfristig massiv auf den Aktienkurs auswirken können – man denke an Ölkatastrophen, Datenskandale oder Streiks aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen.
- Standardisierung: Sie haben eine gemeinsame Sprache geschaffen, mit der Fondsmanager, Analysten und Anleger über Nachhaltigkeit diskutieren können.
Ohne ESG-Ratings wäre nachhaltiges Investieren in großem Stil kaum möglich. Sie sind das Fundament. Doch wie bei jedem Fundament muss man wissen, woraus es gemacht ist.
Warum ein „A“ nicht immer „sehr gut“ bedeutet: Die Grenzen der Aussagekraft
Hier wird es für Sie als Anleger entscheidend. Sich blind auf eine gute Note zu verlassen, kann in die Irre führen. Die größten Kritikpunkte, die wir in unserem professionellen Analyseprozess immer berücksichtigen, sind:
- Mangelnde Korrelation: Der eine sagt so, der andere so
Das größte Problem: Fragen Sie zwei Ratingagenturen nach der Bewertung desselben Unternehmens, erhalten Sie oft zwei völlig unterschiedliche Ergebnisse. Das Tech-Unternehmen Tesla ist ein berühmtes Beispiel: Von manchen hochgelobt für seinen Beitrag zur E-Mobilität (E), von anderen kritisiert für seine Unternehmensführung und Arbeitsbedingungen (S & G). Das liegt daran, dass jede Agentur ihre eigene Methodik hat und die drei Säulen E, S und G unterschiedlich gewichtet. Ein einheitlicher, objektiver Standard existiert nicht.
- Fokus auf Risiko statt auf Wirkung (Impact)
Das ist der vielleicht wichtigste Punkt, den man verstehen muss: Die meisten ESG-Ratings messen nicht, wie gut ein Unternehmen für die Welt ist, sondern wie gut es gegen Nachhaltigkeitsrisiken für sein eigenes Geschäft abgesichert ist.
Ein Beispiel: Ein Ölkonzern, der exzellente Sicherheitsvorkehrungen gegen Lecks hat und seine Lobbyarbeit effizient managt, kann ein gutes ESG-Rating erhalten. Sein Geschäftsmodell bleibt aber klimaschädlich. Sein Impact auf die Welt ist negativ, sein Risikomanagement aber gut. Ein Anleger, der wirklich etwas für den Planeten tun will, könnte hier fehlgeleitet werden.
- Datenqualität und Intransparenz
Ratings basieren hauptsächlich auf Daten, die die Unternehmen selbst veröffentlichen. Diese Berichte können lückenhaft, geschönt oder schwer vergleichbar sein. Die genauen Algorithmen der Rating-Agenturen sind zudem oft eine „Black Box“. Es ist nicht immer nachvollziehbar, wie eine bestimmte Note zustande kommt.
- „Größen-Bias“: Große Konzerne im Vorteil
Große Unternehmen haben oft ganze Abteilungen, die sich nur darum kümmern, aufwendige Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen und die Fragen der Ratingagenturen zu beantworten. Ein kleinerer, regionaler Bio-Lebensmittelhersteller, der vielleicht in der Praxis viel nachhaltiger agiert, hat diese Ressourcen nicht und erhält daher oft ein schlechteres oder gar kein Rating.
Was bedeutet das für Sie als Anleger? Vom passiven Konsumenten zum aktiven Nutzer
ESG-Ratings sind also „fehlerhaft“, aber unverzichtbar. Die Kunst besteht darin, sie richtig zu nutzen. Für uns als Ihr Investmentpartner bedeutet das:
- Ratings sind der Ausgangspunkt, nicht das Endergebnis. Wir nutzen sie als ersten Filter, um das Anlageuniversum zu durchleuchten und rote Flaggen zu identifizieren. Die eigentliche Arbeit beginnt aber erst danach.
- Wir schauen hinter die Note. Wir analysieren, warum ein Unternehmen ein gutes oder schlechtes Rating hat. Steckt dahinter echtes Engagement oder nur eine gute Marketingabteilung? Passt die Bewertung zur Strategie des Unternehmens?
- Wir kombinieren Daten mit gesundem Menschenverstand. Ein Fonds, der nur blind die Top-10% der am besten bewerteten Unternehmen kauft, ist uns zu wenig. Wir sind aktive Fondsmanager, die zusätzlich eigene Analysen durchführen, mit den Unternehmen in den Dialog treten (Engagement) und die Geschäftsmodelle wirklich verstehen.
- Wir fragen nach Zielen. Möchten Sie primär Risiken in Ihrem Portfolio reduzieren? Oder möchten Sie mit Ihrem Geld eine messbar positive Wirkung erzielen (Impact Investing)? Je nach Zielsetzung spielen die Ratings eine unterschiedliche Rolle.
Fazit: Ein Werkzeug, kein Orakel
Stellen Sie sich ESG-Ratings wie einen Kompass vor. Er ist ein unglaublich nützliches Werkzeug, um die grobe Richtung zu bestimmen und nicht völlig die Orientierung zu verlieren. Aber er ersetzt keine detaillierte Landkarte und schon gar nicht die Erfahrung eines Reiseführers, der das Gelände kennt, Wetterumschwünge deuten kann und weiß, welche Wege sicher zum Ziel führen.
Als informierter Anleger sollten Sie die Existenz und den Nutzen von ESG-Ratings begrüßen, aber ihre Grenzen stets im Hinterkopf behalten.
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