PRESSEARCHIV
Meinung | Christoph Schlienkamp
Green Hushing – Warum das Schweigen über Nachhaltigkeit kein Ausweg ist
Während viele von uns bereits mit dem Begriff „Greenwashing“ vertraut sind – der Praxis, Produkte oder Unternehmen umweltfreundlicher darzustellen, als sie tatsächlich sind –, hat sich in der Finanzwelt ein neues „Phänomen“ etabliert: „Green-Hushing“ (von englisch hushing, was so viel bedeutet wie „Verschweigen“ oder „Stillschweigen“). Bei dieser neuen Tendenz geht es um das genaue Gegenteil: Unternehmen, insbesondere Fondsgesellschaften und Banken, entscheiden sich bewusst dafür, ihre grünen Initiativen nicht (mehr) öffentlich zu kommunizieren. Doch was steckt hinter dieser Entwicklung – und warum sollten wir uns alle Sorgen machen?
Ein Blick auf die Verantwortung der Finanzwelt
Kapitalanlagegesellschaften oder Vermögensverwalter stehen in der treuhänderischen Pflicht, im besten Interesse ihrer Anleger zu handeln – das bedeutet nicht nur, finanzielle Erträge zu erzielen, sondern auch verantwortungsbewusst und transparent zu agieren. Wenn Schwergewichte am Kapitalmarkt wie Unilever Anfang 2024 beginnen, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen zurückzudrehen, oder wenn Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsinitiativen aufgrund fehlender öffentlicher Relevanz gar ganz verschweigen, stellt dies die grundlegenden Prinzipien von Transparenz und Ethik infrage. Dadurch kann das Vertrauen der Anleger, das auf Offenheit basiert, erheblich beschädigt werden.
Die wahren Kosten der Nachhaltigkeit
Das Beispiel Unilever zeigt auch: Nachhaltigkeit ist nicht umsonst – sie bringt Kosten mit sich, sei es durch Umstellungen in der Produktion, die Kompensation von Emissionen, die Einführung neuer Technologien oder die Anpassung an strengere Regulierungen. Doch diese Kosten dürfen meines Erachtens nicht als Vorwand dienen, sich der Verantwortung zu entziehen. Die langfristigen Vorteile nachhaltiger Investitionen überwiegen oft bei Weitem die anfänglichen, kurzfristigen Kosten. Der Klimawandel und seine Folgen werden nicht verschwinden, nur weil wir sie ignorieren. Im Gegenteil: Unternehmen, die heute in Nachhaltigkeit investieren, sichern sich ihre Zukunft – und damit auch die ihrer Investoren.
Die Konsequenzen
„Green-Hushing“ ist meines Erachtens nicht nur kommunikativ problematisch, sondern birgt auch Risiken. In einer Zeit, in der Investoren Wert auf Nachhaltigkeit legen, kann das Verschweigen von ESG-Bemühungen dazu führen, dass Unternehmen ohne Zugang zu Kapital wichtige Investitionsmöglichkeiten verpassen. Zudem könnte dieses Schweigen als Versuch gedeutet werden, Missstände zu verbergen, oder den Eindruck erwecken, dass das Unternehmen keine Antwort auf die Nachhaltigkeitsfrage gefunden hat. Beides kann sich negativ auf den Marktwert und das Vertrauen auswirken.
Der richtige Weg: Offenheit und Transparenz
Anstatt in Stillschweigen zu verfallen, sollten Unternehmen und wirklich nachhaltigkeitsorientierte Investoren eine zukunftsorientierte und transparente Strategie verfolgen. Es geht nicht darum, perfekte Lösungen zu präsentieren, sondern kontinuierlich Fortschritte zu machen und diese offen zu kommunizieren. Anleger wissen, dass der Weg zur Nachhaltigkeit herausfordernd ist, aber sie erwarten Ehrlichkeit und Engagement.
Unsere Kapitalanlagegesellschaft hat sich dem Ziel verschrieben, nachhaltige Investitionen zu fördern und dies offen zu kommunizieren. Wir sind überzeugt, dass Vertrauen und langfristiger Erfolg nur durch Transparenz und Verantwortung erreicht werden können. Während das Verschweigen von nachhaltigkeitsrelevanten Aspekten eine kurzfristige Erleichterung verschaffen mag, um beispielsweise Kontroversen zu vermeiden, schadet es langfristig sowohl den Unternehmen als auch der Gesellschaft.
Fazit: Nachhaltigkeit erfordert Mut und Ehrlichkeit
In einer Welt, in der Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist es wichtig, dass Unternehmen ihre Verantwortung ernst nehmen. „Green-Hushing“ mag als kurzfristige Lösung verlockend erscheinen, um unbequeme Situationen zu vermeiden, doch langfristig ist Ehrlichkeit entscheidend für das Vertrauen der Anleger und die Zukunft der Unternehmen. Transparenz, Verantwortung und langfristiges Denken sollten zentrale Elemente aller Strategien sein – sowohl zum Nutzen der Anleger, der Unternehmen als auch der Gesellschaft.
Nachgefragt | Alexander Lippert
SGL Carbon: Chancen für Turnaround durch Segment-Verkauf
Mit rund 4.800 Mitarbeitern an 29 Standorten erzielte das Unternehmen im Jahr 2023 einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro. Der Fondsmanager Alexander Lippert sieht angesichts der aktuellen Strategieüberprüfung des Unternehmens ein erhebliches Potenzial für eine positive Neubewertung der Aktie.
Unternehmensprofil und Marktstellung
SGL Carbon ist in vier Geschäftsbereiche gegliedert:
- Graphite Solutions (52 % des Umsatzes): Hochmargige Spezialprodukte aus synthetischem Graphit für Anwendungen in der Halbleiter-, LED- und Solarindustrie.
- Process Technology (12 % des Umsatzes): Hochmargige Lösungen für die chemische Industrie.
- Carbon Fibers (21 % des Umsatzes): Produkte aus Kohlenstofffasern für die Automobil- und Windindustrie, derzeit verlustträchtig.
- Composite Solutions (14 % des Umsatzes): Spezialprodukte aus Carbon- und Glasfasern für die Automobilindustrie, darunter Batteriegehäuse für Elektroautos und Blattfedern.
Strategische Neuausrichtung
Die Aufnahme von SGL Carbon in den Fonds erfolgt aufgrund einer strategischen Neuausrichtung der Gesellschaft. Der wichtigste Katalysator für die positive Entwicklung der Aktie ist die im Februar 2024 angekündigte Überprüfung strategischer Optionen für die unprofitable Geschäftseinheit Carbon Fibers. Ursprüngliche Hoffnungen auf eine weite Verbreitung von Kohlenstofffasern im automobilen Massenmarkt haben sich aufgrund hoher Kosten und schlechter Reparatureigenschaften nicht erfüllt. Das Geschäft leidet zudem unter der Energiekrise und operativen Schwierigkeiten im Markt für Windkraftanlagen. Ein erfolgreicher Verkauf dieser Sparte könnte zu einer erheblichen Neubewertung der Aktie führen.
Potenzielle Vorteile eines Verkaufs
Ein Verkauf des Segments Carbon Fibers hätte mehrere positive Auswirkungen:
- Verbesserung des Produktmixes und Steigerung von Wachstum und Marge.
- Reduzierung des Risikoprofils des Unternehmens durch den Wegfall potenzieller Einmalaufwendungen.
- Stopp des Cash Burns und Zuführung von Liquidität in die Bilanz.
- Reduzierung der Verschuldung, was zu einer Verbesserung der Nettoverschuldungsrelation führen würde.
- Potenzial für Kapitalausschüttungen und Investitionen in zukünftiges Wachstum.
- Verbesserung der Wahrnehmung an der Börse und mögliche Anhebung der Analystenkonsens- und Kursziele.
- Neubewertung der Aktie durch Investoren.
Zusätzliche Wachstumstreiber
Neben dem geplanten Verkauf des Segments Carbon Fibers betreibt SGL Carbon ein 50:50-Joint Venture mit dem italienischen Unternehmen Brembo für keramische Bremsscheiben, ein Geschäftsfeld mit sehr guten Margen und starkem Wachstum. Zudem verfügt SGL Carbon über vorteilhafte Verträge mit renommierten Großkunden wie Wolfspeed im Bereich Graphite Solutions, was stabile Umsätze sichern sollte.
Fazit des Fondsmanagers
Lippert ist zuversichtlich, dass die strategische Neuausrichtung von SGL Carbon, insbesondere der geplante Verkauf des verlustbringenden Segments Carbon Fibers, zu einer deutlichen Verbesserung der Unternehmenskennzahlen und einer positiven Neubewertung der Aktie führen wird.
„Mit der Fokussierung auf hochmargige Geschäftsfelder und stabilen Kundenverträgen sehen wir für SGL Carbon ein erhebliches Potenzial zur Wertsteigerung.“ Alexander Lippert
Fondsstrategie und Umsetzung
Der Fondsmanager setzt stets auf eine langfristig ausgerichtete, qualitative sowie quantitative Analyse der investierten Unternehmen. Durch direkten Dialog und tiefgehende Gespräche mit Unternehmensentscheidern wird das „Skin in the Game“ beurteilt. Dabei stehen das Engagement und die unmittelbare Verantwortung für unternehmerischen Erfolg bei Vorständen und Eigentümern im Vordergrund.
SGL Carbon passt gut in dieses Profil: Der CFO treibt die Transformation konsequent voran. Die drei Kinder von Deutschlands reichster Frau, Susanne Klatten, sind sowohl direkt als auch indirekt über BMW mit ingesamt über 45 % an SGL Carbon beteiligt.
Interview | Alexander Lippert
Nebenwerte-Manager: „Es muss weh tun können“
Warum Skin in the Game nicht nur bei der Fondsauswahl wichtig ist und welchen Mehrwert familiengeführte Unternehmen bieten können, erklärt Fondsmanager Alexander Lippert im Interview mit Citywire Deutschland.
Selbst investiert zu sein, ist nicht nur für Fondsselektoren ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl von aktiv verwalteten Produkten, sondern auch für Fondsmanager selbst. Alexander Lippert, Portfoliomanager des GS&P Fonds – Family Business, lebt dieses Prinzip in seiner Anlagestrategie.
Lippert investiert nur in europäische Unternehmen mit einem starken Ankeraktionär, der mehr als 10% der Unternehmensanteile hält. „Eigentümer und Vorstände, die persönliche Risiken eingehen, tragen die unmittelbare Verantwortung für unternehmerischen Erfolg, was zu einer langfristigeren Ausrichtung und Solidität beiträgt. Es muss wehtun können“, so die These des Fondsmanagers.
Laut Lippert kommen Familienunternehmen besser durch Krisen. „Diese Unternehmen wagen seltener überteuerte Übernahmen“, erklärt der Manager. So machen „echte“ Familienunternehmen mehr als 75% seines Fonds aus. „Viele Manager auf Zeit hingegen neigen zu Empire Building oder Sparprogrammen, um die Unternehmenszahlen kurzfristig zu optimieren. Langfristig ist das meist nicht nachhaltig“, sagt Lippert. Als Beispiel nennt er die milliardenschwere Übernahme von Monsanto durch Bayer. Die Entwicklungen bei Adidas und Henkel seien dagegen Beispiele, bei denen ein Vorstand seine Ziele kurzfristig erreicht, langfristig aber die Entwicklung des Unternehmens beeinträchtigt habe.
Doch auch familiengeführte Unternehmen können Nachteile haben. Undurchsichtige Holdingstrukturen und mangelnde Transparenz schrecken so manchen Investor ab. Das bestreitet Lippert nicht. Deshalb sei es für ihn und seine Kollegen, Christian Krahe und Christoph Schlienkamp, wichtig, mit den Unternehmen in den persönlichen Dialog zu treten, um die langfristigen Anreize der Eigentümer und die Strukturen des Unternehmens zu verstehen. „Wir treffen uns deshalb mit über 350 Unternehmen im Jahr und pflegen einen intensiven Austausch mit den Vorständen.“
Bereits in seiner ersten Station als Fondsmanager bei MainFirst betreute er zusammen mit Olgerd Eichler europäische Nebenwerte mit dem Schwerpunkt auf Deutschland. Nach fünf Jahren wechselte er zur DWS in das Team für europäische Nebenwerte unter der Leitung von Philipp Schweneke.
Einige Titel, vor allem deutsche Unternehmen, kennt Lippert daher schon seit Jahren. Eines dieser Unternehmen und zugleich eine der Top-Positionen des Fonds ist Elmos. Der auf die Automobilindustrie spezialisierte Halbleiterhersteller ist im Besitz der Familien Weyer, Hinrichs und Zimmer: „Ich verfolge das Unternehmen seit 2016 und kenne das Management, ihre Ziele sowie deren Anreizstrukturen daher sehr gut.“ Die Firma würde laut Lippert vom Trend zu mehr Sicherheit und Komfort in der Automobilindustrie profitieren.
Neben niedrigen Bewertungen, also dem Value- Faktor, legt Lippert Wert auf Qualität. Ein Beispiel hierfür ist der Windparkspezialist ABO Wind. Mit einem KGV von rund 20 hat das Unternehmen im Portfoliokontext zwar auf den ersten Blick keine günstige Bewertung. Aber: „Bis 2027 will die Gesellschaft ihren Gewinn verdoppeln, was dann eher wieder ein KGV von 10 ergibt, wobei auch die Bewertung der Projektpipeline eine höhere Bewertung rechtfertigt“, erklärt Lippert. „Aufgrund dieser Annahme und einer positiven Entwicklung ist die Position mittlerweile auf Platz 1 und macht über 6% aus.“ Bis Ende März hat Abo Wind über 40% zugelegt.
Einen kleineren, stabilisierenden Teil seines Portfolios machen zudem Spezialsituationen aus. Eine der Top 5-Positionen ist derzeit etwa Rocket Internet: „Hier sehen wir einen intrinsischen Wert, der wesentlich über dem aktuellen Börsenkurs liegt. Der Mehrheitsaktionär und Gründer der Gesellschaft, Oliver Samwer, möchte das Unternehmen langfristig von der Börse nehmen.“
Der Fonds besteht aus 45 Positionen, wovon die Top 20 rund 70% des Gesamtvolumens des €24 Millionen-Fonds umfassen. Lipperts Fokus liegt erfahrungsbedingt auf Deutschland: Fast 60% der Titel kommen aus der Bundesrepublik. „Wir haben im Team jahrelange Erfahrung mit dem deutschen Markt, einen erstklassigen Zugang zu den Unternehmen sowie räumliche Nähe zu den Geschehnissen in Deutschland. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass es hier eine Vielzahl an Weltmarktführern in Nischen gibt, die ihre Umsätze wiederum auf der ganzen Welt erzielen.“
Dennoch: „Europäische Nebenwerte waren zuletzt alles andere als beliebt“, so Lippert. Das Desinteresse zeigt sich auch in den Kursverläufen. Dieser Umstand sowie die teils sehr günstigen Bewertungen haben in den vergangenen Monaten wiederum Strategen und Finanzinvestoren wie KKR auf den Plan gerufen und zu vermehrten Übernahmen in dem Bereich geführt – auch im Portfolio von Lippert. „Private Equity-Investoren finden bei den günstigen Bewertungen ihre Beute nun im Public Equity-Markt“, erklärt der Manager weiter. „Wir hatten allein in den letzten zwölf Monaten vier Übernahmen mit Schaffner, OHB, CropEnergies und indirekt Steico. Schaffner sowie CropEnergies wurden mit Prämien von 79% bzw. 69% rausgekauft.“
Mit Blick auf die Zukunft sieht Lippert aktuell wieder Hoffnungsschimmer für Nebenwerte. Die Nettomittelzuflüsse in das Segment ziehen an. „Es gibt auch wieder vermehrt Interesse an Blockkäufen. Das Marktsegment ist zu günstig, um es zu ignorieren!“ So hat Lippert unter anderem bei günstig bewerteten Familienunternehmen wie Zalaris, einem norwegischen Spezialisten für Gehaltsabrechnungen, dem spanischen Reis- und Pastakonzern Ebro Foods oder dem deutschen Telematikanbieter Init zugeschlagen
„Und sollte das Interesse weiter mau bleiben, so wird es unweigerlich in den nächsten Monaten noch zu einigen weiteren Übernahmen kommen“, ist Lippert überzeugt.
Nachgefragt | Alexander Lippert
Ohne Management-Gespräche geht es nicht
Herr Lippert, der GS&P Fonds – Family Business hat ein besonderes Konzept. Könnten Sie uns bitte erläutern, was genau hinter der Investmentphilosophie „Skin in the Game“ steht?
„Skin in the Game“ bedeutet für uns, dass Eigentümer und Vorstände, die persönliche Risiken eingehen, eine direkte Verantwortung für den Erfolg ihres Unternehmens tragen. Gerade Familienunternehmer stehen dabei nicht nur mit ihrem Vermögen, sondern oftmals auch mit ihrem Namen und ihrer Reputation ein – sie setzen quasi ihre Haut auf’s Spiel. Diese unmittelbare Beteiligung führt unseres Erachtens zu einer langfristigeren und solideren Ausrichtung eines Unternehmens. Für uns ist dies ein Schlüsselfaktor für nachhaltigen Erfolg, weswegen wir gezielt nach ebensolchen Unternehmen für unser Portfolio suchen und genau diese Anreizmechanismen hinterfragen.
Welche Besonderheiten bietet der Fokus auf Familienunternehmen im Rahmen Ihres Fonds?
Familienunternehmen zeichnen sich oft durch eine generationenübergreifende Perspektive aus. Deren Vorstände sind nicht lediglich auf kurzfristige Gewinnoptimierung und Selbstmarketing aus, sondern auf langfristigen Werterhalt und -zuwachs incentiviert. Dies steigert die Verlässlichkeit – was langfristig an der Börse goutiert wird – und passt so auch perfekt zu unserem Anlageansatz. Darüber hinaus finden wir in diesem Segment und besonders im Bereich der Nebenwerte viele, wenig beachtete, unterbewertete Perlen, die von großen Investoren und Analysten übersehen werden. Die daraus resultierenden Informationsineffizienzen wollen wir uns zu Nutze machen.
Wie gehen Sie bei der Aktienselektion vor?
Der Fonds investiert in börsennotierte, europäische Gesellschaften mit mindestens einem starken Ankerinvestor (Anteilsbesitz > 10 %) – bevorzugt eben Familienunternehmen. Wir wollen uns nicht unnötig durch zu hohe und rigide Anteilsgrenzen einschränken. Vielmehr legen wir Wert auf eine genaue, qualitative Auseinandersetzung mit den Unternehmen – also auf Bottom-up-Stockpicking. Neben den üblichen quantitativen Auswahl- und Bewertungskriterien ist uns hier vor allem der direkte Dialog mit den Unternehmensentscheidern wichtig, um eine Einschätzung zum „Skin in the Game“ zu treffen.
So kommt es auch, dass wir im Team zu dritt jährlich über 350 Gespräche mit Unternehmensvorständen führen. Dieser aktive Dialog ist entscheidend, um ein tiefes Verständnis für das jeweilige Geschäftsmodell, die Unternehmensstrategie und vor allem das Engagement der Eigentümer und Vorstände zu gewinnen.
Vielfach wird am Markt die deutliche Unterbewertung der Small- und Mid Cap-Aktien diskutiert. Erwarten Sie hier eine Trendwende?
Die Unterbewertung der kleineren Titel hat mittlerweile lange nicht mehr gesehene Ausmaße erreicht. Abgesehen von den bestehenden, firmenspezifischen Katalysatoren liegt hier das Potenzial für zusätzlichen Rückenwind aufgrund von Bewertungsexpansion, wenn die Anlageklasse der Nebenwerte als günstigere Alternative zu den teureren Pendants wiederentdeckt wird. Viele Marktteilnehmer sind mittlerweile in Nebenwerten massiv unterinvestiert. Wenn die Nettomittelzuflüsse in das Segment drehen, kann es sehr schnell gehen. Sollten diese ausbleiben, wird M&A ein großes Thema: Vereinzelt greifen Strategen und kapitalstarke Finanzinvestoren bei zu Unrecht in Ungnade gefallenen Titeln bereits zu. Eine Entspannung am kurzen Ende der Zinskurve könnte zum Auslöser einer Aufholjagd der Small und Mid Caps werden.
In welchen Bereichen / Branchen finden Sie aktuell die attraktivsten Anlagemöglichkeiten?
Wir sind grundsätzlich generalistisch unterwegs und schauen uns Unternehmen aus fast allen Branchen an, die wir dann letztendlich auch unvoreingenommen gegen- und miteinander vergleichen. Die Frage nach der Branchenzugehörigkeit stellt sich eher nachgelagert im Gesamtportfoliokontext. Wie zuvor bereits geschildert, sehen wir aktuell jedoch viele günstig bewertete Titel im Bereich der ineffizienteren Nebenwerte. Grob kann man das Fondsportfolio in wachsende Qualitätstitel, Turnaround-Kandidaten mit Katalysatoren und in Spezialsituationen einteilen. So ergibt sich in Kombination mit liquiden Standardwerten ein rundes Produkt.
Welche Rolle spielt die Nachhaltigkeit in Ihrem Anlageprozess?
Nachhaltigkeit spielt sowohl in der Portfoliokonstruktion als auch in unseren Gesprächen mit den Unternehmensentscheidern eine zentrale Rolle. Der GS&P Fonds – Family Business investiert mehrheitlich in Unternehmen, die entweder über ein gutes Rating bei ISS verfügen oder einen positiven Beitrag zu den Sustainable Development Goals der UN leisten. Dabei achten wir darauf, dass diese Unternehmen auch Prinzipien einer guten Unternehmensführung verfolgen. Insbesondere Governance-Themen sind im Hinblick auf die typischen Vorbehalte gegenüber Familienunternehmen – wie eine zu starke Einmischung der Eigentümer ins operative Geschäft – ein sehr wichtiges Thema, das es im Anlageprozess zu hinterfragen gilt.
Sind Sie auch mit eigenem Geld in diesem Fondskonzept investiert?
Selbstverständlich. Auch hier leben wir das Prinzip von „Skin in the Game“. Denn man sollte nur denen vertrauen, die auch selbst etwas zu verlieren haben – und damit für ihre Entscheidungen geradestehen müssen. Ich denke, das diszipliniert auch ganz automatisch, grobe Schnitzer zu vermeiden und keinen „zu heißen Reifen“ zu fahren.
Welche Anleger sind im Fonds investiert und welchen Anlagehorizont sollten neue Anleger haben?
Der Fonds eignet sich insbesondere für Anleger, die auf Verlässlichkeit sowie eine solide Rendite Wert legen und einen mittel- bis langfristigen Anlagehorizont mitbringen. Sie profitieren dabei vom Wachstum, von der Solidität und der günstigen Bewertung börsengelisteter Familienunternehmen aus der zweiten und dritten Börsenreihe.
Vielen Dank für diese Einblicke in den GS&P Fonds – Family Business.
DVFA-Umfrage zu KI | Christoph Schlienkamp
KI nutzt dem Kapitalmarkt noch nicht wirklich und braucht Grenzen
Die DVFA wollte von ihren gut 1.400 Mitgliedern wissen, ob die Künstliche Intelligenz (KI) das Zeug dazu hat, den Kapitalmarkt tiefgreifend zu verändern. In den Augen der meisten Befragten hat sie das – in 3 bis 5 Jahren und es gibt Vorbehalte.
Bei der aktuellen Monatsfrage gaben die Investment Professionals der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) ihre Einschätzung zur künftigen Bedeutung Künstlichen Intelligenz (KI) im Finanzsektor ab. Es zeigt sich: Wie auch in anderen Branchen sind die Erwartungen an KI groß, was treffsicherere Prognosen, optimiertere Prozesse und fundiertere Entscheidungen angeht.
Doch die Entwicklung spezifischer KI-Systeme für Kapitalmarktteilnehmer ist noch im vollen Gang. Auch der regulatorische Rahmen zeichne sich noch nicht genau ab, und es bleibe fraglich, ob KI mehr werden kann als ein weiteres, wenn auch leistungsstarkes Hilfsmittel. „Die Mehrheit unserer Mitglieder sieht noch erhebliche Hindernisse für einen echten „Siegeszug“ der KI“, so Christoph Schlienkamp, stellvertretender Vorsitzender der DVFA. „Es mangelt derzeit noch an Erfahrungen, belastbaren Ergebnissen, auch an Vertrauen in die neue Technik. Vor allem aber brauchen wir dazu bessere, strukturierte und konsistente Daten in großer, langfristig verfügbarer Menge.“
Hohe Erwartungen, überschaubares Potenzial
Mithilfe großer Datenmengen und Mustererkennung soll KI helfen, Markttrends früher zu erkennen. Trends zu sehen bleibt aber weit einfacher als die rechtzeitige Prognose von Wendepunkten. Gerade hierbei hängt die Genauigkeit der Vorhersagen entscheidend von der Qualität der Daten ab. 52 Prozent der Befragten schätzt daher das Prognosepotenzial für Markttrends derzeit als moderat ein. 38 Prozent sind hierfür optimistischer und stufen die Vorhersagekraft von KI als sehr hoch ein. 10 Prozent sehen lediglich geringes oder gar kein Prognosepotenzial.
Nutzen am Kapitalmarkt schwer einzuschätzen
KI-Algorithmen durchsuchen riesige Datenvolumina und identifizieren idealerweise auch eher versteckte Zusammenhänge, Trends und Anomalien. In welchem Anwendungsbereich der KI der größte Nutzen am Kapitalmarkt gesehen wird, war für die Befragten jedoch nicht einfach zu entscheiden. Risikomanagement und Marktanalyse liegen mit jeweils 30 Prozent gleichauf, gefolgt von Handelsalgorithmen mit 22 Prozent. Das Schlusslicht bildete mit 18 Prozent die Kundenberatung.
Bis zum Durchbruch dauert es noch Jahre
61 Prozent erwarten tiefgreifende Veränderungen durch KI am Kapitalmarkt in drei bis fünf Jahren. 26 sind da, trotz aller Hindernisse und Einschränkungen, optimistischer und rechnen in den nächsten 1 bis 2 Jahren damit.
Auswirkungen auf die Arbeit im Investmentsektor
Werden die Aufgaben von Analysten, Beratern, Asset Managern und Tradern bald nahezu vollständig von Künstlicher Intelligenz übernommen? Jeder Zweite erwartet, dass KI bestehende Arbeitsplätze im Finanzsektor ersetzen wird. Doch könnte es sich dabei ja auch vorwiegend um unterstützende DV- und Routinearbeiten handeln. In der Einschätzung hierzu sind sich 20 Prozent unsicher und 18 Prozent sehen keine Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Dass KI sogar neue Arbeitsplätze schafft, hoffen 12 Prozent.
Das alles sagt noch nicht viel aus über die Qualität der künftigen von KI unterstützten Arbeit. So kommt in einzelnen Teilnehmer-Kommentaren zur Umfrage zum Ausdruck, dass KI die Effizienz und Produktivität im Investment-Bereich ebenso steigern könnte wie die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten, während der Einfluss auf die absolute Anzahl der Arbeitsplätze per Saldo gering bleiben könnte.
Vergleich mit traditionellen Methoden schwierig zu vergleichen
Genauigkeit und Umfang der Analyse bleiben auch mit KI die Basis jeder guten Prognose. Das gilt schon bisher für die traditionelle Finanzanalyse auf Basis von Unternehmens- und Marktdaten einschließlich sogenannter „weicher Faktoren“ wie ESG-Berichten und Behavioral Finance.
Trotz – oder gerade wegen – dieser grundsätzlichen Gemeinsamkeit halten 35 Prozent es für unmöglich, die Genauigkeit von KI-basierten Finanzprognosen und traditionellen Methoden zu vergleichen. Dagegen trauen 29 Prozent den KI-Methoden eine größere und 26 Prozent eine gleich große Genauigkeit zu. 10 Prozent halten KI für weniger genau.
Etliche Hürden zu nehmen
Generative KI entwickelt sich rasant, und zahlreiche Branchen arbeiten am Einsatz spezifischer KI für ihre jeweiligen Verwendungen. Derweil wetteifern weltweit große Konzerne um Marktbeherrschung, weil auch bei KI Skaleneffekte und Monopolstrategien Kostenvorteile versprechen. Das macht die Zukunft der KI ebenso spannend wie ungewiss.
Folgerichtig halten 58 Prozent den Mangel an Verständnis oder Vertrauen derzeit noch für das größte Hindernis, das einer Integration von KI am Kapitalmarkt entgegensteht. 24 Prozent entfielen auf regulatorische Beschränkungen, gefolgt von den mit KI verbundenen technologischen Herausforderungen 17 Prozent. Kosten scheinen derzeit dagegen kein Problem zu sein, wurden von lediglich ein Prozent genannt.
Fazit: Datenqualität und Mensch entscheidend für den Durchbruch der KI
„Entscheidend für den Durchbruch der KI als Hilfsinstrument in unserer Branche wird die Verfügbarkeit belastbarer, strukturierter Daten sein“, fasst Schlienkamp zusammen. „Wie generell bei jeder KI wird es darauf ankommen, wie die Modelle trainiert werden, aus welchen Daten sie lernen, und ob diese Prozesse noch gesteuert, nachvollzogen und kontrolliert werden können. Denn am Ende sollte immer der Mensch entscheiden, wie weit er der KI und deren Ergebnissen vertraut“, so Schlienkamp.
Er ergänzt: „Es wird beispielsweise von zentraler Bedeutung sein, dass nicht ‚KI nur mit KI-Ergebnissen gefüttert‘ wird – das würde zu Zirkelschlüssen und schließlich zu völliger Konformität führen, einem ‚globalen maschinellen Consensus‘. Es wäre das Ende der Kapitalmärkte und ihrer unverzichtbaren gesamtwirtschaftlichen Allokationsfunktion. Ich persönlich hoffe daher sehr, dass KI die menschliche Erfahrung, Intuition und Kreativität niemals ersetzen wird. Sie darf kein ‚Autopilot‘ werden. Denn nur dann kann der einzelne Investor, Analyst und Berater einen Vorsprung im Wettbewerb erzielen, der schließlich den Unterschied macht im Markt.“
Artikel | Alexander Lippert
ESG: Gute Gründe für neuen Schwung in 2024
Die Aussichten für nachhaltige Investments im Jahr 2024 erscheinen durchaus vielversprechend. Zwar ist die erste große „ESG-Welle“ zuletzt abgeebbt, doch die Auswirkungen der regulatorischen Veränderungen zeigen anhaltend Wirkung. Die insgesamt gestiegene Transparenz sowie eine zumindest einheitlichere Berichterstattung führt zu einer besseren Beurteilbarkeit der Fortschritte auf Ebene der Einzelunternehmen. Das Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften nimmt spürbar zu. Letzteres ist auch eine der Erfahrungen aus unseren Unternehmensgesprächen.
Nebenwerte im Fokus
Da sich nun ein Großteil der Industrie in dieselbe Richtung bewegt, ist Differenzierung umso wichtiger: Der UmweltSpektrum Mix und mit ihm die ausgewählten Portfoliounternehmen können klar als Vorreiter in diesem sich entwickelnden Feld genannt werden, was ihnen auch Alleinstellungsmerkmale bringt und sie am oberen Ende der Skala positioniert. Die sich daraus ergebenden Chancen sind insbesondere im Kontext einer systematischen und nun schon mehrere Jahre anhaltenden Unterbewertung von (europäischen) Nebenwerten im Vergleich zu ihren größerkapitalisierten Pendants zu sehen.
Zahlreiche Übernahmeaktivitäten
Die günstigen Kurse für attraktive Werte rufen nun vermehrt atypische Investorengruppen wie Strategen oder Private Equity bei Public Equity auf den Plan, was die Wahrscheinlichkeit einer Aufwertung bzw. Wertaufdeckung erhöht. Attraktive Zielunternehmen zeichnen sich durch eine solide Aufstellung, positive Cashflows und technologische Innovationen aus, die in einer Zeit zunehmenden Konsolidierungsdrucks besondere Begehrlichkeiten wecken. Unternehmen mit überdurchschnittlichen ESG-Profilen rangieren oben auf den M&A-Listen, was auch die steigenden Marktanforderungen in puncto Nachhaltigkeit widerspiegelt. Die zuletzt zahlreichen Übernahmeaktivitäten im UmweltSpektrum Mix – wie beispielsweise bei Uponor, CropEnergies, Steico oder Renewi – sprechen dafür, dass sowohl finanziell-orientierte als auch strategische Investoren sich für Assets in Bezug auf nachhaltige Aktivitäten interessieren. Neben den eigenen Renditen steigern diese zugleich auch ihre Engagements in zukunftsträchtigen Bereichen.
Erhebliches Potenzial bei Ende der Untergewichtung
Die erhebliche Unterbewertung von (nachhaltigen/europäischen) Small und Mid Caps bietet die Möglichkeit, Outperformance erzielen, sobald eine Umkehr in der Wahrnehmung des Markets stattfindet und die kleineren Unternehmen wieder in den Fokus der Anleger rücken. Bei Trendumkehr sind schnelle, größere Bewegungen möglich, die durch selbstverstärkende Tendenzen weiteres Kapital anziehen. Erste Anzeichen dafür gab es bereits ab Ende Oktober 2023, als die Notenbanken Zinssenkungen in Aussicht stellten. Nach der jahrelangen Rally in US-(Technologie-)Werten sind europäische Nebenwerte in den meisten Portfolios stark untergewichtet. Eine Anpassung dieser Gewichtungen würde zu beträchtlichen Zuflüssen in die relativ gesehen kleine Kategorie führen. Die Bewertungsdiskrepanzen zu US-Werten sind zudem offensichtlich. Die zusätzliche Fokussierung auf Unternehmen mit positiven Beiträgen zu den SDGs fungiert im UmweltSpektrum Mix als kapital-anziehendes Qualitätsmerkmal und wird um Engagements ergänzt, die einen weiteren nachhaltigen Wertbeitrag leisten können.
Der inzwischen 4 Jahre alte GS&P Fonds – UmweltSpektrum Mix wurde vor kurzem mit dem FNG-Siegel bedacht, der renommiertesten und anspruchsvollsten Auszeichnungen für nachhaltige Investmentfonds. Dabei erzielte der UmweltSpektrum Mix auf Anhieb nicht nur zwei von drei Sternen, sondern zählt damit auch zur elitären Gruppe von nur 279 ausgezeichneten Fonds mit FNG-Siegel 2024, bei insgesamt über 11.000 nachhaltigen Fonds nach Artikel 8 oder Artikel 9 in Europa.
Meinung | Alexander Lippert
Nebenwerte: Auf diese deutschen Unternehmen setzen Anlageprofis
„ABO Wind (bald ABO Energy) hat sich 2023 selbst ein Bein gestellt: Zur weiteren Finanzierung des absehbaren Wachstums über Kapitalerhöhungen beschlossen die bis dahin bei Aktionären sehr angesehenen Gründer, Dr. Ahn & Bockholt, die Umfirmierung in eine KGaA. Den restlichen Aktionären missfiel dies – eindrücklich abzulesen am Kursverlauf.
Nun sind zwar Kapitalerhöhungen vom Tisch, der Kurs aber weiterhin im Keller. Antizyklisch bietet sich hier eine gute Chance, zu historisch niedrigen Bewertungen in ein strukturell wachsendes Geschäft mit vielen stillen Reserven dank konservativer HGB-Bilanzierung zu investieren.
Es bieten sich zwei Optionen: Der Rechtsformwechsel wird wie vorgesehen durchgeführt und der Fokus wandert graduell zurück auf die Potenziale im eigentlich soliden operativen Geschäft. Oder unwahrscheinlicher, aber besser: Die KGaA-Struktur wird gar ganz fallengelassen, die Bewertung steigt und das Unternehmen nutzt konsequent seine Wachstumschancen.“
In den vergangenen zwei Jahren durchliefen Nebenwerte-Unternehmen eine schwierige Phase. Das gute Börsenjahr 2023 bescherte einmal mehr den US-Tech-Riesen hohe Kurszuwächse. Nach einem schwachen Vorjahr konnten sie sich 2023 wieder berappelten. Dagegen blieben die „Kleinen“ bei der Aktienmarktrally weitgehend außen vor. Doch der Wind sollte sich 2024 drehen und nun erneut zum Rückenwind für Nebenwerte werden, vermuten viele Marktbeobachter.
Insgesamt spricht aus Investorensicht einiges für kleine und mittlere Titel: Kleinere Unternehmen gelten als besonders innovativ. Sie setzen Ideen tendenziell schneller um und passen sich zeitnah an neue Gegebenheiten an. Zudem haben sie ihren großen Wachstumsschub potenziell noch vor sich. Wer in einem frühen Stadium auf ein zukunftsträchtiges Unternehmen setzt, kann an seinem Investment besonders viel Freude haben. Man denke nur an den Gewinn, den ein früher Vogel aus einer Anlage in einen späteren Giganten wie Microsoft oder Nvidia vereinnahmen konnte.
Noch etwas spricht für Nebenwerte: Auf lange Sicht hatten kleinere Unternehmen die Nase gegenüber den größeren deutlich vorn. Das lässt sich zum Beispiel am Dax ablesen: Der klassische Dax, der früher die 30 und heute die 40 größten deutschen Unternehmen repräsentiert, lief Ende 1987 bei 1.000 Zählern los. Heute steht er bei knapp 17.000 Zählern. Der M-Dax – die zweite Riege der nächstgrößeren 50 Unternehmen – wurde bei seinem Start 1996 auf ebenfalls 1.000 Punkte Ende 1987 zurückgerechnet. Der M-Dax steht heute bei mehr als 25.600 Zählern.
Wer sich als Anleger im Nebenwerte-Kosmos umsieht, kann allerdings auf weniger Input durch Analysten zählen. Denn diese decken tendenziell vor allem die großen Unternehmen ab. Die Arbeit eines gewissenhaften Nebenwerte-Investors kann sich daher mühsamer gestalten als die Tätigkeit eines Investors, der im Blue-Chip-Kosmos zu Hause ist.
Wenn sich nun Anleger vom Jahr 2024 ein Comeback der Nebenwerte erhoffen – welche Unternehmen konkret haben das Potenzial, demnächst zu glänzen? Wir haben drei Nebenwertemanager jeweils um ihre drei Top-Tipps gebeten. In der Bilderstrecke stellen wir sie vor.
Artikel | DVFA
Christoph Schlienkamp wird 65
Seit mehr als 12 Jahren engagiert sich Christoph Schlienkamp ehrenamtlich für die DVFA, den Verband der Investment Professionals in Deutschland. Seit Mai 2016 ist er Mitglied des Vorstands und seit fast sechs Jahren Mitglied des geschäftsführenden Vorstands, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Schatzmeister. Schlienkamp vertritt die DVFA im Fachbeirat der BaFin und ist Mitglied des Arbeitskreises Externe Unternehmensberichterstattung der Schmalenbach-Gesellschaft.
Schlienkamp hat ab 2012 den DVFA-Arbeitskreis Small Caps und dann ab 2016 die Kommission Unternehmensanalyse der DVFA geleitet und hier immer hohen Wert auf eine balancierte Meinungsbildung zwischen den Positionen der Emittenten und der Investoren gelegt. Die planmäßige Abschreibung von Firmenwerten, um unnötige Volatilitäten in den Unternehmensergebnissen zu vermeiden, ist eine seiner Forderungen. Daneben spricht er sich gegen eine überzogene ESG-Berichterstattung für kleine und mittelgroße börsennotierte Unternehmen (KMU) aus und ist ein Kritiker des von der ESMA implementierten Unbundlings für Unternehmensresearch.
Zukunftsgerichtet beschäftigt sich Schlienkamp mit praktischen Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz im Aktienresearch. Er ist Autor mehrerer Lehrbücher und zahlreicher Fachartikel zum Thema Kapitalmarktanalyse. Schlienkamp verkörpert als gelernter Aktienanalyst in besonderem Maße die DNA der DVFA und ist eine Speerspitze in der Diskussion um die weitere Entwicklung des Aktienresearchs, hebt Thorsten Müller, Vorstandsvorsitzender der DVFA, hervor.
Beruflich ist Schlienkamp als Portfoliomanager für die GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. tätig. Christoph Schlienkamp feiert am 23. Januar seinen 65. Geburtstag.
Meinung | Alexander Lippert
Nicht die Üblichen: Fondsboutiquen Top Picks 2024
Die systematische und nun schon mehrere Jahre anhaltende Underperformance von deutschen und europäischen Nebenwerten im Vergleich zu ihren größerkapitalisierten Pendants bietet antizyklische Einstiegschancen.
Europäische Nebenwerte: Günstig bewertet aber untergewichtet
Nach der jahrelangen Rally in US-(Technologie-)Werten sind europäische Nebenwerte in den meisten Portfolios stark untergewichtet. Die Bewertungsdiskrepanzen zu US-Werten sind offensichtlich. Allein eine Anpassung dieser Gewichtungen würde zu beträchtlichen Zuflüssen in die relativ gesehen kleine Kategorie führen. Die erhebliche Unterbewertung von europäischen Small und Mid Caps relativ zu Large Caps und zur eigenen Historie bietet daher die Möglichkeit, Outperformance zu erzielen, sobald eine Umkehr in der Wahrnehmung des Marktes stattfindet und die kleineren Unternehmen wieder in den Fokus der Anleger rücken. Bei Trendumkehr sind schnelle, größere Bewegungen möglich, die durch selbstverstärkende Tendenzen weiteres Kapital anziehen. Erste Anzeichen dafür gab es bereits ab Ende Oktober 2023, als die Notenbanken Zinssenkungen in Aussicht stellten.
Steigendes Interesse atypischer Investorengruppen
Die günstigen Kurse für attraktive Werte rufen auch vermehrt atypische Investorengruppen wie Strategen oder Private Equity bei Public Equity auf den Plan, was die Wahrscheinlichkeit für Wertaufdeckungen zwar erhöht, die Liste an spannenden Unternehmen allerdings im denkbar undankbarsten Zeitpunkt weiter ausdünnt. Diese Ziele zeichnen sich durch eine solide Aufstellung, starke Cash-Generierung und technologische Innovationen aus, die in einer Zeit zunehmenden Konsolidierungsdrucks besondere Begehrlichkeiten wecken. Unternehmen mit zusätzlich überdurchschnittlichen ESG-Profilen rangieren oben auf den M&A-Listen, was auch die steigenden Marktanforderungen in puncto Nachhaltigkeit widerspiegelt. Die zuletzt zahlreichen Übernahmeaktivitäten auch in diesem Bereich sprechen dafür, dass sowohl finanziell-orientierte als auch strategische Investoren sich für Assets in Bezug auf nachhaltige Aktivitäten interessieren.
Artikel | Der Aktionär, mit Alexander Lippert
Watchlist der Profis
Fondsmanager und Vermögensverwalter sind immer ganz nah am Markt. der aktionär fragte nach, welche Small und Mid Caps sich die Profi-Investoren für das Jahr 2024 auf die Watchlist gesetzt haben. Georg Issels, Vorstand der Beteiligungsgesellschaft Scherzer & Co., schickte vor zwölf Monaten an dieser Stelle die Aktie von Redcare Pharmacy ins Rennen. Ein Volltreffer!
Die damals noch unter Shop Apotheke firmierende Gesellschaft zählte im abgelaufenen Jahr mit plus 180 Prozent zu den absoluten Top-Performern unter den heimischen Nebenwerten. Für das Jahr 2024 steht bei dem Aktienstrategen mit HelloFresh erneut einer der Top-Verlierer aus dem Vorjahr auf der Watchlist. Der weltweit führende Anbieter von Kochboxen habe nach unerwartet schwächeren Neukundenzahlen und Problemen in einer Produktionsstätte in seinem wichtigsten Einzelmarkt USA die Jahresziele für 2023 zurückgenommen. Umsatz und operativer Gewinn dürften damit also kleiner ausfallen als zuvor erwartet. „Der Vertrauensverlust ist riesig, die Aktie notiert niedriger als vor der Pandemie, alleine in den letzten drei Monaten hat sich der Kurs mehr als halbiert“, so der Experte. Doch Issels sieht hier auch eine Chance: „Sollten die Probleme tatsächlich temporärer Natur sein, wie die Gesellschaft mitteilt, dürfte in 2024 eine deutliche Erholung möglich sein“, legt sich der Profi fest.
Auch bei K+S setzt der Scherzer-Vorstand auf ein Comeback. „Nach einem Rekordgewinn in 2022 im Zuge der Ukrainekrise hat sich der Aktienkurs wegen wieder gesunkener Kalipreise mehr als halbiert.“ Nachdem der Konzern seine Nettofinanzverschuldung durch die operative Geschäftsentwicklung und die strategische Neuausrichtung vollständig abbauen konnte, notiert die Aktie zum halben Buchwert. „Sollten sich die Kalipreise im Jahresverlauf erholen, hat K+S in der aktuellen Aufstellung als einer der weltgrößten Kalianbieter mit Produktionsstätten in Europa und Kanada beste Chancen, überproportional davon zu profitieren“, ist sich der Experte sicher.
Seine dritte Aktie ist eine Sonderstory.
Centrotec war bis zum Verkauf des Kerngeschäfts ein Spezialist für Energiespartechnologien in Gebäuden. „Heute ist die Gesellschaft eine aktive Finanzholding in den Bereichen Industrie, Real Estate und Financial. Sie besitzt eine rund 11-prozentige Beteiligung an der börsennotierten italienischen Ariston Group, der Käuferin des Kerngeschäfts, einen hohen Cashbestand und bewirtschaftet das Restgeschäft“, weiß Issels. Seine Rechnung: „Allein der Cashbestand deckt den aktuellen Börsenkurs mehr als ab. Hinzu kommt die Ariston-Beteiligung, die bei einem Kurs von 6,35 Euro etwa 20 Euro zum Wert pro Aktie beiträgt, und das Restgeschäft, dem ein Wert von 14 Euro je Aktie beigemessen werden kann.“ Per Saldo gebe es Centrotec damit zum halben Wert.
„Aktienrückkäufe und Anteilsaufstockungen der gut 80 Prozent haltenden Mehrheitsgesellschafterin, der Familie Krass, sollten auch zu einer höheren Bewertung an der Börse führen“, so das Fazit des Profis.
Chips, Pumpen und eine KGaA
Bei Alexander Lippert steht Elmos auf der Watchlist. Der Portfoliomanager setzt damit auf die großen Wachstumstreiber Komfort und Sicherheit im Straßenverkehr.
„Während 2022 im Schnitt sieben ElmosChips pro weltweit verkauftem Fahrzeug verbaut wurden, wartet ein gut ausgestatteter 7er-BMW bereits mit über 150 solcher Halbleiter auf.“ Wichtig: Die Technik wandere dabei Stück für Stück in die günstigeren Massenmodelle – nicht nur der europäischen Autohersteller, sondern auch bei der aufstrebenden Konkurrenz in Asien. „Das führt dazu, dass Elmos auch bei mauen Autovolumina überdurchschnittlich wachsen kann“, so Lippert. „Angesichts des zweistelligen Umsatzund überproportionalen Gewinnwachstums erscheint ein 24er-KGV von 12 als zu gering“, so der Stratege.
Bei KSB erwartet Lippert, dass das Managementteam nun die Früchte seiner 2018 eingeleiteten Maßnahmen ernten kann. Auftragseingang, Umsatz, Gewinn und Free Cash Flow würden 2023 bereits prozentual zweistellig steigen. Im Rahmen der Strategie 2030+ würden zudem mehr als vier Milliarden Euro Auftragseingang bei mindestens zehn Prozent EBIT-Marge angestrebt, verglichen mit einer aktuellen Marktkapitalisierung von gut 1,1 Milliarden Euro. Das Marktumfeld passt. „Treiber der Margenexpansion wird auch der Fokus auf das pro fitable Servicegeschäft sein, das potenziell sogar eine riesige installierte Basis im Gegenwert von etwa 30 Milliarden Euro adressieren kann.“
ABO Wind habe sich 2023 selbst ein Bein gestellt. „Zur weiteren Finanzierung des absehbaren Wachstums über Kapitalerhöhungen beschlossen die bis dahin bei Aktionären sehr angesehenen Gründer, Dr. Ahn & Bockholt, die Umfirmierung in eine KGaA. Den restlichen Aktionären missfiel dies – eindrücklich abzulesen am Kursverlauf“, so der Portfoliomanager. Nun seien zwar Kapitalerhöhungen vom Tisch, der Kurs sei allerdings weiter im Keller. „Antizyklisch bietet sich hier eine gute Chance, zu historisch niedrigen Bewertungen in ein strukturell wachsendes Geschäft mit vielen stillen Reserven dank konservativer HGB-Bilanzierung zu investieren“, so der Aktienprofi.
Grüne Comeback-Chancen
Nach einem erfolgreichen Börsengang ging die Aktie von Friedrich Vorwerk auf Talfahrt. Im Anschluss an eine mehrmonatige Konsolidierung griffen erste Investoren zum Jahresende mit der Hoffnung auf einen erfolgreichen Turnaround wieder zu. „Hauptertragsbringer ist und bleibt der Bau von unterirdischen Gleichstromtrassen in Niedersachsen und NRW“, so Michael Kollenda von Salutaris Capital. „Angesichts der vollen Orderbücher und eines Rekordauftragseingangs erwarten wir ein Comeback und deutlich steigende Kurse bis zum Jahresende“, legt sich der Small-Cap-Profi fest.
Bei Ökoworld hat Kollenda in den vergangenen Monaten mehrere gravierende Weichenstellungen ausfindig gemacht. Bei der in Branchenkreisen als Erfinder der nachhaltigen Geldanlage in Deutschland titulierten Gesellschaft hat Anfang August 2023 der Aufsichtsrat den Firmengründer und langjährigen Vorstandsvorsitzenden Alfred Platow entlassen. „Offensichtlich hatten seine drei Vorstandskollegen gegen ihn geputscht und den Aufsichtsrat davon überzeugt, dass es besser ohne ihn weiterginge“, so Kollenda. Zudem würden rund 120 Millionen Euro liquide Mittel in der Firmenkasse der schuldenfreien Gesellschaft schlummern – das sei mehr als die Marktkapitalisierung der Vorzüge. „Wir erwarten, dass das Unternehmen damit auch künftig ein guter Dividendenzahler bleibt“, so Kollenda.
Die dritte grüne Aktie ist Wolftank-Adisa.
„Die Aktie wurde zuletzt zu Unrecht in Sippenhaft genommen und mit dem schwachen Sentiment der Wasserstoff-Aktien nach unten gezogen“, ist der Stratege sicher. Die Marktkapitalisierung sei auf nur noch 50 Millionen Euro geschrumpft. Für das Jahr 2024 erwartet er Umsätze von mehr als 125 Millionen Euro und einen Gewinn je Aktie von 0,83 Euro. Daraus würde ein KGV von 13 resultieren. „Damit ist das Unternehmen massiv billiger als alle artverwandten Unternehmen und schreibt im Gegensatz zu den meisten Firmen bereits schwarze Zahlen.“
Dividende und Bewertung im Fokus
Roland Könen von Value-Holdings Capital Partners hat die Aktie von Indus Holding auf der Watchlist. Das Portfolio der überwiegend inhabergeführten mittelständischen Produktionsunternehmen umfasse rund 45 direkte Beteiligungen in Schlüsselbranchen. „Mit dem Verkauf und der Einstellung der Automotive-Aktivitäten hat Indus eine Verlustquelle der letzten Jahre beseitigt, sodass die Ertragsseite ab 2024 wieder zulegen sollte“, so der ValueExperte. Ebenfalls wichtig: Indus hatte keinen Dividendenausfall in den letzten 25 Jahren. „Bei einer Pay-out-Ratio von bis zu 50 Prozent beträgt die Dividendenrendite auf aktuellem Kursniveau rund fünf Prozent – Tendenz steigend,“ so Könen.
Auch bei Porr hebt der Experte eine attraktive Dividendenpolitik hervor, die auf aktuellem Kursniveau eine Rendite über fünf Prozent ergebe. Das Bauunternehmen (Kernmärkte Österreich, Deutschland, Polen) besitze eine hohe Expertise im Tiefund Infrastrukturbau (Umsatzanteil: knapp 60 Prozent), insbesondere bei Tunnelprojekten und beim Bau von Pumpspeicherkraftwerken. Daneben liege der Schwerpunkt der Bauaktivitäten im Industriebau (Anteil: 30 Prozent). Der Wohnungsbau nehme nur einen Umsatzanteil von unter zehn Prozent ein. Projektbezogen arbeite Porr zudem in Großbritannien, Norwegen, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. „Bei diesen Projekten handelt es sich insbesondere um Eisenbahnprojekte, bei denen das von Porr mit der ÖBB entwickelte und patentierte feste Fahrbahnsystem Slab Track eingebaut wird“, so Könen. Mit einem Auftragsbestand von mehr als neun Milliarden Euro besitze Porr eine hohe Visibilität bis weit in das Jahr 2024 hinein.
Auch die dritte Aktie auf seinem Zettel überzeugt mit einer hohen und nachhaltigen Dividende. „Die Eigenkapitalquote von Hornbach von über 40 Prozent ermöglicht verlässliche Dividendenzahlungen, die seit 1987 jedes Jahr ausgeschüttet wurden und dabei mindestens stabil geblieben sind“, weiß der Profi. Damit nicht genug: „Die Aktie ist derzeit mit einem einstelligen KGV und einem KBV von unter 1 bewertet.“ Mit rund 100 Bauund Gartenmärkten sei Hornbach drittgrößter Baumarktbetreiber in Deutschland. Zudem betreibe der Konzern über 70 Märkte in acht weiteren europäischen Ländern. „Zum Konzern gehören darüber hinaus die Hornbach Baustoff Union, ein regionales Baustoffhandelsunternehmen mit 39 Standorten im Südwesten Deutschlands und Frankreich, sowie die Hornbach Immobilien AG, die für den Konzern Einzelhandelsimmobilien entwickelt“, erklärt der Stratege. „Die rund 100 eigenen Immobilien hatten laut letztem Geschäftsbericht eine Bewertungsreserve von rund 880 Millionen Euro, dem steht eine Marktkapitalisierung von knapp einer Milliarde Euro gegenüber.“
Meinung | Christoph Schlienkamp
Fundamentale Vorsicht trifft auf niedrige Bewertung
Im bisherigen Verlauf des Jahres haben wir über 400 Gespräche mit börsennotierten Gesellschaften geführt. Durch diese intensiven Dialoge erhalten wir als aktive Stockpicker einen persönlichen Eindruck von den aktuellen Entwicklungen und relevante Informationen aus erster Hand. Sie geben auch einen tiefen Einblick in die Art der Unternehmensführung und offenbaren, mit welchen Herausforderungen diese Unternehmen konfrontiert sind – auch im Hinblick auf das Jahr 2024.
Die Lage ist (noch) gut
Tatsächlich ist die Lage der Unternehmen oft besser als die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung, jedoch wohl nicht ganz so gut, wie es das neueste Allzeithoch im DAX implizieren könnte. Eine gewisse Vorsicht ist spürbar, da es an klaren Wirtschaftsimpulsen fehlt. Diese wären wiederum notwendig, um einem potenziellen Rückgang der Auftragslage effektiv entgegenzuwirken. Das Gros der Unternehmenslenker weist regelmäßig darauf hin, dass ihre Zukunftsprognosen unter der Prämisse einer stabilen wirtschaftlichen Gesamtsituation stehen und bei einer Verschlechterung der Lage entsprechend angepasst werden müssten.
Auf die Politik ist kein Verlass
Ein gemeinsamer Nenner aus den zahlreichen Managementgesprächen der letzten Wochen ist, dass sich gerade die mittelständischen Unternehmen von der Politik allein gelassen und von der überbordenden Regulierung in zahlreichen unterschiedlichen Bereichen überfordert fühlen. Trotz dieser Herausforderungen bewältigen viele dieser Unternehmen ihre Lage bemerkenswert gut und zeigen eine beachtliche Resilienz.
Noch zehren viele Unternehmen von den gut gefüllten Auftragsbüchern und erzielen dank Preismacht hohe Margen und Gewinne. Es bedarf einer baldigen Aufhellung der Lage, um dem sich anbahnenden Auftragsschwund zu begegnen. Teilweise hat man diese in den letzten Wochen aber schon erkannt.
Steigende Zinskosten voraus
Das gestiegene Zinsniveau macht den Unternehmen durchaus zu schaffen. Manch cleverer Finanzvorstand hat sich zwar in der Niedrigzinsphase langfristig günstig refinanziert und kann die Liquidität nun übergangsweise teilweise höher verzinslich anlegen. Doch für die meisten und gerade für viele hoch verschuldete Unternehmen stellen die gestiegenen Zinskosten eine beträchtliche Belastung des Nettoergebnisses dar, die man im Vergleich zu anderen Kostenpositionen nur indirekt an die Kunden weiterreichen kann. Einige Konzerne, wie z.B. im Immobilien-Sektor, versuchen noch, diese neuen Zinsniveaus zu vermeiden, indem sie Teilbereiche/Assets veräußern oder vorübergehend kurzlaufende Anschlussfinanzierungen abschließen – in der Hoffnung auf bald wieder bessere Konditionen.
Repatriierung der Produktion
Das Thema Deglobalisierung ist gerade für deutsche Unternehmen als langjährige Globalisierungsprofiteure relevant. Die unmittelbaren Folgen der Umkehr dieses Trends zeigen sich primär in weniger Wachstum der exportstarken Industrien. Auf der anderen Seite bietet dies die Chance des Aufbaus einer zusätzlichen, repatriierten Produktion. Hier zeigt sich jedoch eine abwartende Haltung vieler Unternehmen, die entweder auf entsprechende privatwirtschaftliche Aufträge oder auf Anreize und Impulse der hiesigen Regierungen warten. In beiden Fällen sind langfristige Planbarkeit und Verlässlichkeit zentral.
Public Equity im Visier
Auch wenn ein Vorstand nicht die eigene Aktienkursentwicklung in Investorenmeetings kommentieren soll. Es bleibt gerade bei Mid- und Small Caps das Unverständnis über die niedrigen Bewertungen und die folglich schwachen Kurse. Technische Faktoren wie geringere Liquidität bei Nebenwerten, der Trend zum passiven Investieren in größer kapitalisierte Unternehmen und ausbleibende Zuflüsse in die Kategorie sind nur einige Erklärungsversuche unter vielen. Was jedoch hoffnungsvoll stimmt, ist die steigende Anzahl an Übernahmen in diesem Segment. Private Equity findet immer öfter in Public Equity attraktiv bewertete Ziele. Die Taschen sind gut gefüllt, das Jahresende naht, die Bewertungen bei vielen bedeutenden Spielern in eigenen Nischen niedrig.
Stockpicking ist key
Zusammengefasst lässt sich sagen, 2024 wird erneut ein spannendes Aktienjahr werden. Wer wird sich durchsetzen? Gewinnen die Bären mit ihrer fundamental begründeten Skepsis oder die Bullen mit ihrer Multiplikatorenausweitung dank fallender Zinsen? Wie so oft: Aktives Stockpicking wird im nächsten Jahr gefragter sein denn je.
von Christoph Schlienkamp, 15. Dezember 2023, © GS&P
Christoph Schlienkamp ist Portfoliomanager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. und geschäftsführender Vorstand der DVFA (Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V.) und dort auch Vorsitzender der Kommission Unternehmensanalyse.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
Interview (Auszug) | Alexander Lippert
EK-Forum: So ist die Lage Ende 2023
Das Deutsche Eigenkapitalforum ist eine der bedeutendsten Kapitalmarktveranstaltungen zum Thema Unternehmensfinanzierung in Europa.
Besonders aktive Asset Manager mit Stock-Picking Ansatz schätzen die Gelegenheit, in kurzer Zeit das Gespräch mit einer Vielzahl von Unternehmenslenkern zu suchen.
GS&P KAG S.A.:
„Die Lage der Unternehmen ist noch gut – aber es fehlen Impulse, um einem drohenden Auftragsschwund entgegenzuwirken.“Alexander Lipppert, GS&P KAG S.A.
Wie ist die Lage in der Wirtschaft/ im Mittelstand?
GS&P / Alexander Lippert:
Besser als die allgemeine Stimmung. Doch wohl nicht ganz so gut wie es das Allzeithoch im DAX implizieren könnte.
Ein gemeinsamer Nenner aus den über 60 Managementgesprächen in den letzten 4 Wochen – davon mehr als 20 auf dem Eigenkapital-Forum – ist, dass sich gerade die mittelständischen Unternehmen von der Politik allein gelassen und von der überbordenden Regulierung überfordert fühlen. In Anbetracht dieses Gegenwindes schlagen sie sich vielfach sehr gut.
Noch zehren viele Unternehmen von den gut gefüllten Auftragsbüchern und erzielen dank Preismacht hohe Margen und Gewinne. Es bedarf noch einer Aufhellung der Lage, um den sich anbahnenden Auftragsschwund zu begegnen. Teilweise hat man diese in den letzten Wochen schon erkannt. Denn wie so oft: Sentiment follows markets.
Leiden die Unternehmen sehr unter dem gestiegenen Zinsniveau?
GS&P / Alexander Lippert:
Das gestiegene Zinsniveau macht den Unternehmen durchaus zu schaffen. Manch cleverer CFO hat sich zwar in der Niedrigzinsphase langfristig günstig refinanziert und kann die Liquidität nun übergangsweise teilweise höherverzinst anlegen. Doch für die meisten und gerade für viele hochverschuldete Unternehmen stellen die gestiegenen Zinkosten eine beträchtliche Belastung des Nettoergebnisses dar, die man im Vergleich zu anderen Kostenpositionen nur indirekt an die Kunden weiterreichen kann. Einige Konzerne, wie z.B. im Bereich Immobilien, versuchen noch, diese neuen Zinsniveaus zu vermeiden, indem sie Teilbereiche/Assets veräußern oder vorübergehend kurzlaufende Anschlussfinanzierungen abschließen – in der Hoffnung auf bald wieder bessere Konditionen.
Ist Deglobalisierung ein Thema und läuft da bereits vieles? Ggfs zum Vor- oder Nachteil der deutschen Unternehmen?
GS&P / Alexander Lippert:
Das Thema ist gerade für deutsche Unternehmen als langjährige Globalisierungsprofiteure relevant. Die unmittelbaren Folgen der Umkehr dieses Trends zeigen sich primär in weniger Wachstum der exportstarken Industrien. Auf der anderen Seite bietet dies die Chance des Aufbaus einer zusätzlichen, repatriierten Produktion. Hier zeigt sich jedoch eine abwartende Haltung vieler Unternehmen, die entweder auf entsprechende privatwirtschaftliche Aufträge oder auf Anreize und Impulse der hiesigen Regierungen warten. In beiden Fällen sind langfristige Planbarkeit und Verlässlichkeit zentral.
Können die Manager die bei Small/MidCaps vielfach stark zurückgebliebenen Kurse an der Börse nachvollziehen / erklären?
GS&P / Alexander Lippert:
Das Unverständnis über die niedrigen Bewertungen und die folglich schwachen Kurse ist groß. Technische Faktoren wie geringere Liquidität bei Nebenwerten, der Trend zum passiven Investieren in größerkapitalisierte Unternehmen und ausbleibende Zuflüsse in die Kategorie sind nur einige Erklärungsversuche unter vielen. Was jedoch hoffnungsvoll stimmt, ist die steigende Anzahl an Übernahmen in diesem Segment. Private Equity findet immer öfter in Public Equity attraktiv-bewertete Ziele. Die Taschen sind gut gefüllt, das Jahresende naht, die Bewertungen bei vielen bedeutenden Spielern in eigenen Nischen niedrig.
Artikel | Alexander Lippert
Skin in the game – es muss wehtun
Die Rolle des persönlichen Risikos könnte kaum ausgeprägter sein: Eigentümer von Familienunternehmen stehen oft mit dem Großteil ihres Vermögens und ihrer Reputation ein, wenn es um das Wohl und Wehe zigtausender Beschäftigter geht. Sie denken und handeln langfristig, teils über Generationen hinweg, um den erarbeiteten Wohlstand zu bewahren und zu mehren. Es gibt mehr solcher Unternehmen an der Börse, als man denkt. Gerade abseits der bekannten Namen wie LVMH, L’Oréal oder BMW eröffnen sich Chancen.
Nur denen vertrauen, die auch etwas zu verlieren haben
Dieses „Skin in the game“ – also das persönliche Risiko – ist ein zwar vielzitierter, aber dennoch oft vernachlässigter Faktor für langfristigen Erfolg. Gerade in der direkten Verantwortlichkeit für Entscheidungen liegt die Potenz dieses zentralen Betrachtungsbausteins.
Den Finger in der Wunde
Bei Familienunternehmen ist im Hinblick auf oftmals ungleiche Machtverhältnisse zwischen Anker- und Kleinaktionären, Governance-Themen sowie Nachfolgekonflikten eine genaue Beurteilung der Motive und Anreizmechanismen von Nöten. In direkten Gesprächen mit den Unternehmenslenkern gilt es für professionelle Investoren, die Beweggründe und Ziele von Vorständen und Großaktionären zu erfragen und bei Bedarf auch den Finger in die Wunde zu legen.
Outperformance von Familienunternehmen an der Börse
Zahlreiche Studien belegen die bessere Wertentwicklung von Aktien familiengeführter Unternehmen am Kapitalmarkt, ein überzeugendes Ergebnis sei nachstehend in der Grafik gezeigt:
Die lange Frist avisiert
Langfristiger Werterhalt & Wertakkumulation kommen vor kurzfristiger Gewinnmaximierung während der Amtszeit eines Vorstands. Stattdessen verfolgen verantwortungsvolle Familienunternehmen eine generationsübergreifende Vision: Die Wahrung des guten Rufes und die Bewahrung des Familienvermächtnisses. Diese Haltung bildet letztendlich das Fundament für nachhaltigen Erfolg.
Lukrativer Blick in die 2. und 3. Reihe
Neben einer sehr hohen Gewichtung der Anreize und der Qualität des Managements fokussieren sich die Experten des „GS&P Fonds – Family Business“ bei ihren Anlagen auf Nebenwerte, also jene Titel fernab der allbekannten Standardwerte. Hier sieht man sich im Vorteil gegenüber vielen großen Adressen, für die dieser Bereich schlicht zu klein ist. Die Marktabdeckung durch ETFs ist ebenso kaum darstellbar wie die von Seiten der Analysten und Presse. Gerade hier setzen die Kapitalmarktexperten an, engagieren sich und bilden sich im direkten Dialog ein eigenes Urteil. Diese differenzierte Begutachtung der Unternehmen fügt sich gut ein in den realisierten Bottom-Up-Stockpicking-Ansatz, aus dem sich im Idealfall lukrative Informationsvorsprünge ergeben.
Mit voller Hingabe
Ein Paradebeispiel für ein Familienunternehmen aus der zweiten oder dritten Reihe ist eine der letzten Neuaufnahmen im Fonds: Elmos Semiconductor mit Hauptsitz in Dortmund. Elmos ist ein hochprofitables, deutsches Technologie- und Wachstumsunternehmen, das bis heute von den Gründerfamilien dominiert wird, die zusammen über 58 Prozent der ausstehenden Aktien besitzen. Der aktuelle CEO ist seit 2014 im Unternehmen und hat dort seitdem große Verdienste erworben – unter anderem hat er antizyklische Aktienrückkäufe und die Transformation vom zyklischen Chiphersteller zum schwankungsärmeren Designer, Entwickler und Tester dieser High-Tech-Produkte vorangetrieben. Neben starken langfristigen Incentives ist sein Aktienpaket seit Mai 2023 sogar mit den Gründern in einem Poolvertrag gebunden, was für eine langfristige Ausrichtung der Strategie spricht.
Elmos entwickelt, produziert und vertreibt Halbleiter vornehmlich für den Einsatz im Auto. In den Bereichen Ultraschall-Distanzmessung, Ambientes Licht und intuitive Bedienung ist das Unternehmen globaler Marktführer. Die Anzahl an Elmos-Chips pro weltweit produziertem Auto wird strukturell steigen (aktuell: im Schnitt 7 Elmos-Chips pro Fahrzeug, in einem neuen Auto der Premiumkategorie: bis zu 150 Chips), weswegen die absoluten Autoabsatzzahlen zunehmend zweitrangig werden. Aktuell plant das Unternehmen gut 19 Prozent der für 2023 erwarteten Umsätze für Investitionen auszugeben – und hat diese Zahl im Juni sogar erst von 17 Prozent erhöht –, was ein starkes Indiz für das erwartete Wachstum dieser Kategorie und für die noch kommenden Produktneuanläufe ist. Trotz stark zweistelligem Wachstum, einer EBIT-Marge von ca. 25 Prozent und geringer Verschuldung handelt die Aktie aufgrund investitionsbedingt schwacher Mittelgenerierung, dem allgemein negativen Umfeld und Desinteresse an Auto-Titeln auf attraktiven Bewertungen. Insbesondere die mittelfristigen Wachstumspotentiale werden nach Ansicht des GS&P Fondsmanagements von den Marktteilnehmern noch unterschätzt.
Artikel | Christian Krahe
ESG: Besonders herausfordernd für kleine Unternehmen
Tieferer Einblick durch aktuelle Managementgespräche
In einer zunehmend nachhaltig ausgerichteten Wirtschaftswelt gewinnt das Thema Nachhaltigkeit auch für kleinere Unternehmen an Bedeutung. Dieses Bewusstsein spiegelte sich in zahlreichen Gesprächen wider, die die Fondsmanager des UmweltSpektrum Mix gemeinsam mit Experten der UmweltBank AG im Rahmen der 14. Frühjahrskonferenz für Nebenwerte sowie der 26. DIRK-Konferenz in Frankfurt geführt haben. Während die getroffenen Manager der Unternehmen die Wichtigkeit von nachhaltigem Handeln erkannten, äußerten sie sich besorgt, dass sie vor erheblichen Herausforderungen stehen, wenn es darum geht, die Anforderungen von ESG-Ratings und Reportingstandards zu erfüllen.
Ernsthafte Bereitschaft aber mangelnde Ressourcen
Kleinere Unternehmen zeigen eine ernsthafte Bereitschaft zur Integration nachhaltiger Praktiken, auch wenn diese nicht immer ihren Hauptfokus darstellen. Die auf den Konferenzen gewonnenen Erkenntnisse verdeutlichten jedoch, dass diese Gesellschaften mit begrenzten Ressourcen kämpfen, wenn es um die Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsziele geht. Insbesondere Unternehmen ohne spezialisierte Nachhaltigkeitsabteilungen stehen vor der Herausforderung, die Flut an verschiedenen Fragebögen, Anfragen und Daten zu bewältigen, die heute für ESG-Ratings bereitgestellt werden müssen.
„Mittelständische Unternehmen sind die Innovationstreiber auch im Nachhaltigkeitsbereich, aber die Flut von Anforderungen bei ESG-Ratings und Reportingstandards verhindert oftmals eine Aufnahme in Fondsportfolios.“
Christian Krahe, Fondsmanager
Die Diskussionen enthüllten, dass kleinere Unternehmen oft nicht über ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, um allen ESG-Rating-Agenturen die erforderlichen Daten und Informationen zur Verfügung zu stellen. Viele Unternehmen versuchten, in Gesprächen mit Investoren herauszufinden, welche Agentur am relevantesten für sie ist. Ein weiteres Problem, das während der Konferenzen zur Sprache kam, war die Unsicherheit bei den Reportingstandards. Kleinere Unternehmen waren oft überfordert und wussten nicht genau, wo sie anfangen sollten oder welchen Standards sie folgen sollten. Die Vielzahl von möglichen Standards wie SDGs, EU-Taxonomie, GRI und DNK führte zu Verwirrung und Unsicherheit. Hier zeigte sich, dass klare Anforderungen von Investoren von großer Bedeutung sind, um den Unternehmen eine klare Richtung zu geben.
Auf der anderen Seite ist es für Fondsmanager derzeit aufgrund mangelnder Datenverfügbarkeit selbst in den eigentlich dafür prädestinierten Bereichen „Wasserstoff“ und „Renewables“ schwer, ein Portfolio aus hier tätigen, innovativen Mittelständlern zusammenzustellen.
Schlussfolgerung:
Nachhaltigkeit gewinnt zunehmend an Bedeutung, auch für kleine Unternehmen. Allerdings sind diese oft überfordert mit den Anforderungen an ESG-Ratings und Reportingstandards. Um Diskriminierung aufgrund fehlender Ratings zu verhindern, müssen Ratingagenturen ihr Angebot erweitern und Datenabfragen weniger umfangreich gestalten. Kleine Unternehmen benötigen klare Anforderungen von Investoren und zusätzliche Unterstützung, um Nachhaltigkeitsziele effektiv umzusetzen. Es ist entscheidend, dass Regulatoren und Stakeholder Lösungen entwickeln, um finanzielle und personelle Ressourcen für Nachhaltigkeitsinitiativen bereitzustellen und klare Standards zu etablieren. Nur so kann eine gerechtere Bewertung und Integration nachhaltiger Praktiken in den Geschäftsalltag kleiner Unternehmen gewährleistet werden.
In der Praxis des Fondsmanagements:
Kleinere Unternehmen sind per se nicht weniger nachhaltig als größere Gesellschaften, aber aufgrund fehlender veröffentlichter Daten müssen Fondsmanager genaue eigene Analysen durchführen, um auf die richtigen Wertpapiere zu setzen. Mit Nachhaltigkeits-Experten im Fondsmanagement können aber markante Wettbewerbsvorteile erzielt werden – sind doch gerade bei Aktien kleinerer Unternehmen immer wieder renditewirksame nutzbare Fehlbewertungen zu finden.
Interview | Christian Krahe
Erwachsen, erfolgreich und 400 Mio. schwer
Herr Krahe, Sie sind Fondsmanager für den Deutsche Aktien Total Return Fonds, der immer wieder durch gute Ergebnisse auffällt. Nun wird Ihr Mischfonds 18 Jahre alt! Herzlichen Glückwunsch! Wie ist damals eigentlich der Start verlaufen?
Vielen Dank! Tatsächlich haben Albrecht von Witzleben und ich damals mit 0 Euro und ohne Büro gestartet: Nach 4 Wochen konnten wir im DATR die ersten Gelder von weniger als 1 Mio. Euro investieren und den ersten Fondspreis berechnen lassen. Zum Jahresende 2005 waren es €15 Mio. Fondsvolumen, nach zwei Jahren bereits €200 Mio. Aktuell liegt der Fonds zu seinem ‚18. Geburtstag’ bei knapp €400 Mio. Erwachsen ist der DATR in Fondsmaßstäben unserer Meinung nach aber schon länger, er hat schon einiges erlebt. Wir freuen uns auch über dieses Jubiläum, denn nicht viele Fonds am Markt sind so alt und werden derart kontinuierlich von denselben Fondsmanagern – und hier sogar den Initiatoren – verwaltet.
Das deutet an, dass der Fonds sich wohl im Wettbewerb beweisen konnte?
Der DATR hat es geschafft, als Mischfonds über einen so langen Zeitraum den deutschen Aktienmarkt in Form des DAX zu schlagen – zum Jubiläum aktuell sogar um insgesamt über 70 Prozentpunkte und gegenüber einem DAX-ETF sogar um fast 100 Prozentpunkte! Anleger der ersten Stunde haben ihr Vermögen in 18 Jahren also mehr als vervierfacht. Dabei hat der Fonds dank des Mischfonds-Ansatzes regelmäßig eine niedrigere Schwankungsbreite als der DAX aufgewiesen.
Die Frage nach dem Fondsnamen: Total Return klingt danach, dass Sie nicht nur Aktien kaufen?
Das ist richtig, der Fonds hat einen vermögensverwaltenden Charakter. Wir investieren daher zur Diversifikation auch in weitere Assetklassen wie z.B. Unternehmens- und Wandelanleihen. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Aktienseite und hier verfolgen wir einen All Cap-Ansatz. Der Fonds sollte damals die Fortführung der erfolgreichen Tätigkeit Herrn von Witzlebens als Vermögensverwalter in einem Produkt sein. Ein wenig waren wir der Zeit der vermögensverwaltenden Fonds wohl voraus.
Im Fondsnamen steckt auch der regionale Schwerpunkt, anders als eigentlich alle anderen bekannten Mischfonds fokussieren Sie Ihre Anlagen auf den deutschen Markt?
Ja, wir haben hier ein uns bestens vertrautes und breites Anlegeuniversum, hier kennen wir uns besonders gut aus, haben intensive Kontakte zu den Unternehmen und finden immer wieder chancenreiche Aktien. Man darf nicht übersehen, dass deutsche Unternehmen oft auch ein sehr gutes internationales Geschäft haben und „Made in Germany“ weiterhin ein starkes Markenzeichen ist. Auch und gerade in den Krisen der letzten Jahre haben deutsche Unternehmen, bewiesen, dass sie solide aufgestellt sind und eine hohe Anpassungsfähigkeit und Flexibilität zeigen können. Zusätzlich besticht Deutschland durch stabile und verlässliche Rahmenbedingungen. Und wenn wir Deutsche es mal positiv sehen und formulieren wollten, dann könnte man das Land auch als Hort der Stabilität bezeichnen.
Der Fonds existiert ja bereits seit 2005, haben Sie seitdem Ihre Strategie umstellen oder verändern müssen?
Unsere grundlegende Anlagephilosophie und -strategie ist über die Jahre hinweg beständig geblieben. Wir setzen auf ausgewählte deutsche Aktien und Anleihen, die wir detailliert analysieren. Daraus ergibt sich ein konzentriertes Portfolio, das rund 20 bis 25 Aktien und in etwa ebenso viele Anleihen umfasst. Eine bewährte Stütze für die Performance des DATR durch die Marktphasen ist dabei unser flexibler Investmentansatz: Während wir einerseits bei den Aktieninvestments risikobewusst einen fundamental- und langfristig-orientierten Ansatz fahren, sind wir zusätzlich in der Investitionsquote nicht festgelegt. Durch die aktive Selektion einzelner deutscher Wertpapiere und die flexible Allokation sind wir erfolgreich. Wir bieten den Anlegern quasi ein ‚Heimspiel‘ für ihr Vermögen.
Sie betonen gerne das eigenständige Research und die persönlichen Gespräche bei der Titel-Analyse. Wie oft sprechen Sie mit dem Management der Portfolio-Unternehmen?
Wir führen sehr regelmäßig Gespräche auf Roadshows, Konferenzen oder individuell vereinbart. Manche Unternehmen sprechen wir mehrmals im Jahr oder auch ad hoc, wenn es aufgrund von Nachrichten oder für uns nicht nachvollziehbaren Entwicklungen im Kurs sein muss.
Welche Informationen ziehen Sie aus diesem engen Kontakt zu den Unternehmen?
Die Gespräche bringen uns ein tieferes Verständnis des Geschäftsmodells und der Einflussfaktoren auf dieses. Der direkte Austausch gibt uns auch die Möglichkeit, einen persönlichen Eindruck vom Management zu gewinnen (Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit der Manager, Strategien und Visionen). Gespräche mit Kontakten, die uns seit Jahren vertraut sind, sind auch unter psychologischen Gesichtspunkten immer wieder interessant.
Wie ist das Produkt aktuell aufgestellt? Gab es zuletzt Neuaufnahmen und gibt es gewisse Aktien, die Sie schon das ganze Fondsleben lang begleiten?
Wir fühlen uns derzeit gut und ausgewogen positioniert. Die Aktienquote liegt aktuell bei 52%, was auf eine konstruktive Grundhaltung des Portfoliomanagements schließen lässt. Der durchschnittliche Kupon unserer Anleihen beträgt 6,40%, was in der aktuellen Phase höherer Zinsen anhaltend attraktiv ist. Als Neuaufnahmen auf der Aktienseite sind zum Beispiel Gerresheimer, K+S und besonders Aurubis zu nennen. Hier haben wir die jüngste Aktienkursschwäche genutzt, um in ein Substanzunternehmen mit strukturellen Wachstumstreibern wie weltweit zunehmend strikterer Regulierung und mehr Recycling zu investieren. Tatsächlich begleiten uns einige beeindruckend erfolgreiche Unternehmen wie Sixt oder KSB bereits seit über einer Dekade. Sie fanden sich im Fonds daher regelmäßig in unterschiedlichen Gewichtungen wieder.
Sind Sie beide auch selbst in den Fonds investiert?
Da wir selbst seit Auflage des DATR investiert waren und natürlich weiterhin sind und eine ganz besondere Beziehung zu diesem Fonds haben, bleiben wir äußerst motiviert. Wir wollen den Weg konsequent weitergehen und verstärken daher unsere Expertise bei deutschen Nebenwerten gezielt. Unser neuer Kollege Alexander Lippert ist mit 28 Jahren jung, aber bereits sehr erfahren. Er kann in unserem Team für neue Perspektiven sorgen und sich dadurch sicherlich auch im DATR erfolgreich einbringen.
Artikel
Luxemburger Fondsboutique angelt sich DWS-Manager
Zuvor hatte der 28-Jährige bereits für Mainfirst gearbeitet. Dort war er Teil des Teams um Fondsmanager Olgerd Eichler. In beiden Positionen war er für den Bereich europäische Small- und Midcaps verantwortlich – worauf auch Lipperts neuer Arbeitgeber GS&P sein Hauptaugenmerk legt.
Dort freut man sich nun über den Neuzugang. GS&P-Geschäftsführer Christian Krahe sagt über Lippert: „Mit seiner Begeisterung für das Stockpicking und seinem umfassenden Wissen über europäische Aktiengesellschaften kann er wichtige Impulse in der Aktienanalyse und -selektion geben und uns bei der Weiterentwicklung der Gesellschaft tatkräftig unterstützen.“
Lippert soll unter anderem für den von GS&P gemanagten Artikel-9-Fonds „Umweltspektrum Mix“ (ISIN: LU2078716219) tätig werden. Dabei komme ihm seine Erfahrung als „Certified ESG Analyst (CESGA)“ zugute, wie es in der Mitteilung heißt. Er bringe Erfahrung mit Nachhaltigkeitsdaten unterschiedlicher Anbieter mit. Bereits bei Mainfirst hat Lippert demnach die hauseigene Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickelt. Hauptverantwortlich soll er zudem den GS&P Family Business (LU0179106983) übernehmen.
Artikel | Christoph Schlienkamp
Qualität ist wichtiger als Timing
Portfoliomanager Schlienkamp hält es für extrem schwierig, den Markt zu timen. Und rät, Aktien auch mal mit Verlust zu verkaufen:
In diesen Tagen habe ich sehr viele Börsenberichte und -kommentare gelesen und Podcasts gehört, die sich alle mit der alten Börsenweisheit „Sell in May and go away“ beschäftigten. Keine Angst, ich will das Thema hier nicht noch einmal aufwärmen, ob und wann diese Börsenregel gilt und wann nicht. Gleichwohl gibt es für Anleger meines Erachtens zwei wichtige Grundregeln, die zu wenig beachtet werden und die viel wichtiger sind als darüber zu entscheiden, welcher Monat gerade ist
„Time niemals den Markt“
Die goldene Regel für ein Basisinvestment zum Vermögensaufbau heißt ganz klar: „Time niemals den Markt“. Wichtig ist es, überhaupt an der Börse zu investieren, um von den langfristigen Chancen des Aktienmarktes profitieren zu können. Das Problem mit dem Versuch, den Markt zu timen, ist, dass es fast unmöglich ist, den besten Zeitpunkt für den Kauf oder Verkauf von Aktien zu treffen. Die Börse ist nicht selten unberechenbar und kann schnell in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Es ist viel sinnvoller, an der Börse zu investieren und langfristig zu denken. Wenn man ein Portfolio breit diversifiziert und in Unternehmen investiert, von denen man überzeugt ist, dann ist es wahrscheinlicher, langfristig erfolgreich zu sein. Ja, es kann schwierig sein, zu sehen, wie ein Portfolio in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit sinkt, aber es ist wichtig, daran zu denken, dass der Markt langfristig gesehen immer nach oben tendiert.
Es ist daher wichtig, eine langfristige Anlagestrategie zu verfolgen, die auf fundierten Fundamentaldaten und langfristigen Trends basiert, anstatt auf kurzfristigen Schwankungen zu reagieren. Indem Anleger regelmäßig in solide Unternehmen investieren und geduldig sind, können sie über einen längeren Zeitraum hinweg ein solides Portfolio aufbauen und von den Vorteilen des Zinseszinseffekts profitieren. Durch das Verfolgen einer langfristigen Anlagestrategie und das Vermeiden von emotionalen Entscheidungen können Anleger ihr Portfolio erfolgreich aufbauen und langfristige Gewinne erzielen.
Sparpläne sind ein gutes Instrument, um an den langfristigen Chancen zu partizipieren. Und wenn der Markt dann doch mal im Mai sinkt, dann bekommt man für den festen Betrag mehr Anteile. Auf lange Sicht kann diese Strategie dazu beitragen, das Risiko zu minimieren und den Erfolg zu maximieren. Kurz gesagt, das Timing des Marktes ist eine schwierige Sache, die selbst erfahrene Investoren herausfordert. Es ist viel sinnvoller, langfristig zu denken, das Portfolio zu diversifizieren und regelmäßig in den Markt zu investieren.
Vertrauen auf das Prinzip Hoffnung
Bei einer Einzelanlage vergessen Anleger zudem sehr häufig, sich von einem Titel zu trennen, wenn der Kurs nicht nach oben geht, die Einschätzung des Unternehmens sich aber zum Negativen geändert hat. Dann vertrauen viele Anleger auf das Prinzip Hoffnung, doch vielleicht den Einstandskurs wieder erreichen zu können. Das bindet Kapital, neuen Ideen nachzugehen, die erfolgsversprechender sind. Trauen Sie sich also auch. Sich mit Verlust von Papieren zu trennen.
Es ist eine der größten Herausforderungen bei der Investition in Einzeltitel, emotionale Entscheidungen zu vermeiden. Es ist natürlich, eine emotionale Bindung zu einer Aktie aufzubauen, insbesondere wenn sie in der Vergangenheit gute Renditen erzielt hat. Es ist aber wichtig, dass Anleger bei der Investition in Einzeltitel an der Börse rational und diszipliniert bleiben. Sie sollten ihre Investitionen regelmäßig überprüfen, klare Ausstiegsstrategien festlegen und sich nicht von emotionalen Entscheidungen und auch nicht vom Kalender leiten lassen.
von Christoph Schlienkamp, 16. Mai 2023, © GS&P
Christoph Schlienkamp ist Portfoliomanager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. und geschäftsführender Vorstand der DVFA (Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V.) und dort auch Vorsitzender der Kommission Unternehmensanalyse.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
Meinung | Christoph Schlienkamp
Nachhaltigkeit – Es gibt viele Wünsche als Investor
Nachhaltigkeit ist nicht nur in der Kapitalanlage ein klarer Trend. Doch was gut gemeint ist, entwickelt sich in der Praxis für Emittenten und Investoren zunehmend schwierig. Auch wenn die Verwendung bestehender ESG-Ratings aktuell vielleicht die beste Lösung ist, so bleibt das Thema bestehen: Die Ratings alleine der drei großen Ratinganbieter weichen voneinander ab. Eine Gesellschaft kann bei Morningstar nachhaltig sein, bei ISS vielleicht auch noch, aber bei MSCI dann auf einmal nicht mehr oder umgekehrt. Und was ich als Investor überhaupt nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass Liquidität als nicht-nachhaltig eingestuft wird. Das macht meines Erachtens ökonomisch überhaupt keinen Sinn. Liquidität muss bei der Berechnung von Nachhaltigkeitsquoten eliminiert werden, ohne Wenn und Aber.
Wir managen bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft seit nunmehr drei Jahren einen nachhaltigen Fonds für die UmweltBank: keine Waffen, keine Munition, kein Atom, kein Gas etc. und nur positive Beiträge der Unternehmen zu den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Ist nur eins der 17 SDGs negativ, dann kommt der Emittent nicht ins Anlageuniversum.
Darüber hinaus führen wir umfangreiche „Do Not Significant Harm” Tests (DNSH-Test) durch. Hier wird über ein Screening sichergestellt, dass die nachhaltigen Investitionen nicht durch andere ökologische oder soziale Ziele gemäß der EU-Taxonomie oder den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen erheblich beeinträchtigt werden.
Und last but not least erfolgt die Einhaltung der „Minimum Safeguards“. Der Artikel 18 als Teil der Taxonomie-Verordnung wurde eingeführt, um zu verhindern, dass Investitionen als „nachhaltig“ bezeichnet und angesehen werden, wenn sie negative Auswirkungen auf die Menschen- oder Arbeitnehmerrechte haben oder mit korrupten Praktiken, der Nichteinhaltung von Steuergesetzen oder wettbewerbswidrigen Praktiken verbunden sind. Alles in allem eine komplexe Materie. Wir alle haben in den letzten drei Jahren Daten gewälzt, recherchiert, verplausibilisiert, um wirklich nachhaltige Investments für die Kunden zu managen.
Zusammenfassend muss man heute festhalten, dass wir trotz des Siegeszuges der ESG-Investments nicht sehr zufrieden sind, wie sich Branche und Umfeld seit 2020 entwickelt haben. Unsere gemeinsamen Erkenntnisse und Erfahrungen haben wir in einer zehn Punkte umfassenden Wunschliste für den ESG-Bereich zusammengestellt:
- Wir wünschen uns ein Grundverständnis von Nachhaltigkeit, an das sich alle Anbieter von Nachhaltigkeitsratings halten. Aktuell können Unternehmen bei einer Rating-Gesellschaft sehr nachhaltig abschneiden und bei einer anderen nicht mal die Grundvoraussetzungen erfüllen. So kann man sich immer das Rating aussuchen, das einem gerade am besten passt.
- Wir brauchen eine klare, verständliche und verlässliche Richtungsvorgabe aus der Politik. Derzeit werden Bürger, Produktanbieter und Anleger mit Vorschriften und Gesetzen überfrachtet.
- Klare und vor allem für den Anleger auch verständliche Regeln sollten definieren, wann man als Anbieter die Begriffe ESG / nachhaltig / grün / SRI / etc. benutzen darf und was dies für die Anlagen eines Fonds bedeutet. Sinnvoll wäre z.B. eine Kennzeichnungspflicht, eine Art Lebensmittel-Ampel, bei Fonds.
- Für die gescheiterte EU-Taxonomie wünschen wir uns einen „ernsthaften“ Neuanfang. Dabei darf es aus unserer Sicht keine Toleranzgrenzen mehr bei fossilen Energien und Atomenergie und auch keinerlei Diskussion über die inzwischen schon fast wieder hoffähige Rüstung geben.
- Die Vorschriften zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung haben in der Praxis oftmals keinen Erfolg. Auch hier wird ein „Reboot“ hinsichtlich der Vorschriften und Regelungen benötigt. Weniger Fachbegriffe, weniger komplexe Fragen, mehr Vereinfachung. Die Komplexität führt dazu, dass die Beratung davon abrät, eine Präferenz anzugeben. Damit erreicht die Abfragepflicht eigentlich genau das Gegenteil von dem, für das sie eingeführt wurde.
- Alle Unternehmen sollten Nachhaltigkeit als Chance erkennen, denn es geht ja auch um ökonomische Nachhaltigkeit. ESG-Daten zu erheben und zu veröffentlichen kann Kapitalkosten senken und Investoren anlocken.
- Bei den Bewertungen der Ratingagenturen wünschen wir uns verlässlichere Daten, die auch nachvollziehbar erhoben werden und immer mit gesundem Menschenverstand hinterfragt werden dürfen.
- Eine Diskriminierung kleinerer Unternehmen nur aufgrund eines nicht vorhandenen Ratings muss verhindert werden. Das Ratingangebot der Agenturen muss ausgeweitet werden, Datenabfragen sollten weniger umfangreich sein.
- Eine hohe Liquidität im Fonds sollte sich nicht negativ auf die Bewertung der Nachhaltigkeitsquote des Portfolios auswirken.
- Die Kosten für Fonds und Anleger, die aufgrund der hohen Bürokratie und ausufernden Regulatorik im Zusammenhang mit den Vorgaben bei der Nachhaltigkeitsbewertung entstehen, müssen im Rahmen bleiben.
Der Aufwand der vergangenen drei Jahre hat sich trotzdem gelohnt. Die Hoffnung ist aber ganz klar, in drei Jahren auf die Wunschliste zu blicken und alle Punkte als erledigt abzuhaken. Ich glaube, das ist ein Traum, aber wir werden sehen.
von Christoph Schlienkamp, 10. März 2023, © GS&P
Christoph Schlienkamp ist Portfoliomanager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. und geschäftsführender Vorstand der DVFA (Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V.) und dort auch Vorsitzender der Kommission Unternehmensanalyse.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
Meinung | Christoph Schlienkamp
ChatGPT – Disruption oder Hype für den Kapitalmarkt?
Es ist grundsätzlich keine neue Idee, Künstliche Intelligenz (KI) im Portfoliomanagement einzusetzen. Schon seit zehn Jahren versuchen erste Fonds Marktbewegungen zu prognostizieren und daraus Handelssignale zu erzeugen. Man hat viele Daten, muss schnelle Entscheidungen treffen und sich mit komplexen Optimierungen auseinandersetzen. Auch ungeliebte administrative Routineaufgaben könnten von der KI übernommen werden. Im Fondsmanagement hat man zudem manchmal das Gefühl, dass einzelne Investoren in den ein oder anderen Wert verliebt sind und deshalb manche vielleicht notwendige Entscheidungen nicht umsetzen. KI hingegen ist nüchtern und emotionsfrei und 24/7 verfügbar.
Schon vor vielen Jahren haben wir uns bei der DVFA mit der Frage beschäftigt, welchen Einfluss KI für die Investmentprofis haben wird. Die Antwort war immer wieder: KI wird Einzug halten, aber es wird noch mehrere Jahre dauern, bis Research- oder Unternehmensberichte vollständig und richtig von KI geschrieben bzw. analysiert und die richtigen Schlüsse gezogen werden können.
Der aktuelle Hype um ChatGPT verändert diese Sichtweise wohl nicht. Laut Bloomberg hat bereits knapp ein Drittel der Investmentprofis das Tool ausprobiert. Nachdem ich erste KI-geführte Interviews im Technikbereich gelesen habe, war ich zunächst positiv überrascht. Meine ersten Schritte als Portfoliomanager waren dann aber eher ernüchternd.
KI im Praxistest
Die erste Idee war, den monatlichen Newsletter für einen unserer Fonds elektronisch vorschreiben zu lassen. Also Befehl eingegeben: „Schreibe einen Börsenbericht für Dezember 2022“. Die Antwort: „Ich kann Ihnen leider keinen Börsenbericht für Dezember 2022 liefern, da mein Wissensstand bei 2021 endet. Bitte beachten Sie, dass ich lediglich Prognosen treffen und keine tatsächlichen Analysen liefern kann.“
Na nu, habe ich mir gedacht, Wenn Prognosen gehen, dann will ich doch mal – wie wir alle – genau wissen, wie die Börse sich künftig entwickeln wird. Also Frage eingegeben: „Welche Prognose gibt es für den DAX? Aber auch hier war die Antwort leider nicht zielführend: „Ich kann Ihnen leider keine Prognose für den DAX geben, da mein Wissensstand bei 2021 endet und ich keine aktuellen Marktdaten habe. Bitte beachten Sie, dass Prognosen unsicher sind und die zukünftige Entwicklung des Marktes von vielen Faktoren beeinflusst wird. Es ist immer ratsam, sich von einem Finanzberater oder einem Experten beraten zu lassen, bevor Sie Anlageentscheidungen treffen.“
Also kann ChatGPT auf einmal doch keine Prognosen, auch wenn dies bei der Antwort auf die erste Frage noch möglich war. Geschmunzelt habe ich aber dennoch über die Antwort mit dem Hinweis, dass Prognosen unsicher sind und den Hinweis doch einen Berater vor einer Anlageentscheidung zu kontaktieren.
Okay, wenn ChatGPT bis zum jetzigen Zeitpunkt nur Daten bis Ende 2021 hat, dann will ich doch mal einen Geschäftsbericht analysiert und zusammengefasst haben: Also eingegeben: „Analysiere den Geschäftsbericht von adidas 2019 und fasse ihn auf zwei Seiten zusammen.“ Und es bleibt ernüchternd für alle die, die sich mehr Hilfe erhofft hatten: „Es tut mir leid, ich bin ein Sprachmodell und habe nicht die Fähigkeit den Geschäftsbericht von adidas 2019 zu lesen und diesen auf zwei Seiten zusammenzufassen. Ich kann Ihnen jedoch allgemeine Informationen über das Unternehmen und seine Geschäftspraktiken geben. Adidas ist ein weltweit führendes Unternehmen in der Herstellung von Sportbekleidung, Schuhen und Zubehör. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit auf seine Bemühungen in Bezug auf Nachhaltigkeit hingewiesen, wie zum Beispiel die Verwendung von nachhaltigen Materialien, die Unterstützung von lokalen Gemeinden und die Förderung von Arbeitsrechten und ethischen Geschäftspraktiken. Es ist auch bekannt für seine Marketing- und Sponsoring-Aktivitäten mit einigen der größten Sportvereine und Athleten weltweit. Es ist wichtig zu beachten, dass die Analyse eines Geschäftsberichts eine sehr detaillierte Arbeit ist, die von einem Experten in Finanzanalyse durchgeführt werden sollte, und es ist nicht möglich es in zwei Seiten zusammenzufassen.“
Das ist doch mal eine klare Aussage, dass die Analyse sehr detailliert ist und von einem Finanzexperten durchzuführen ist.
Heißen jetzt meine Tests, dass KI heute noch keine Gefahr für Investmentprofis darstellt. Ich glaube nicht, denn eins ist klar: der Fortschritt wird sich nicht aufhalten lassen. Es scheint sicher zu sein, dass wir in einigen Jahren von vielen Aufgaben befreit oder enthoben werden. Manchmal nehmen die Dinge auch einen schnelleren Lauf. Die Frage, ob dann alle Research-Berichte einheitlich sind und kein Meinungsspektrum widerspiegeln, will ich heute noch nicht diskutieren, aber das ist ein klares Thema für morgen.
von Christoph Schlienkamp, 27. Januar 2023, © GS&P
Christoph Schlienkamp ist Portfoliomanager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. und geschäftsführender Vorstand der DVFA (Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V.) und dort auch Vorsitzender der Kommission Unternehmensanalyse.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.